Gildenhaus Thendara
Freund”, sagte sie leise. „Machen wir, daß wir hier wegkommen.
Aber nimm dir Zeit, alter Junge. Vorsichtig!” Innerhalb weniger Minuten befanden sie sich in Sicherheit. Auf beiden Seiten des Weges stieg das Gelände zwischen dichten Massen von Bäumen an. Wieder hörte Magda irgendwo im Wald ein Nachttier, aber sie fürchtete sich vor ihm weniger als vor dem entsetzlichen Klippenpfad, der sich von neuem auf einen Abgrund öffnen mochte.
Sie sind beide diesen Weg geritten. Ich kann es auch, wenn ich muß, dachte Magda, aber jetzt unter den Bäumen atmete sie doch leichter. Wirklich, sie sollte hier haltmachen und den Morgen abwarten. Li würde wahrscheinlich nicht auf einer ihm fremden Welt in völliger Dunkelheit weiterreiten. Soviel sie wußte, stammte er von einem der Planeten mit hellerer Sonne, und ihm mußte es auf Darkover noch dunkler vorkommen als ihr, die sie seit ihrer Kindheit hier lebte. Er hatte ein paar Stunden Vorsprung noch vor Jaelle, und sicher hatte er inzwischen die relative Sicherheit der Talsohle erreicht und dort für die Nacht sein Lager aufgeschlagen. Bestimmt holten sie ihn am Morgen ein.
Der Regen wollte nicht aufhören. Wasser strömte von den Gipfeln nieder und ergoß sich durch jede kleinste Rinne, die es finden konnte, ins Tal. Der ganze Winterschnee mußte auf den Bergen schmelzen. Schon waren die Schäden zu erkennen, die die Überschwemmung an dem Weg und auf den Hängen angerichtet hatte, und zweimal mußte Magda einen Baum umgehen, der während der Winterstürme entwurzelt worden war und nun den Pfad blockierte. Sollte ein Baum an einer Stelle gefallen sein, wo nur ein schmaler Sims an der Klippenwand entlangführte, würde überhaupt nicht durchzukommen sein…
Doch diese Brücke - und hier war die Redensart wörtlich zu nehmen wollte sie überqueren, wenn sie sie erreicht hatte. Im Augenblick kam sie ganz gut voran. Sie spürte sogar, daß sich die Muskeln ihrer Kopfhaut entspannten, und ihr Bewußtsein hatte genügend Kontakt mit dem Unterbewußtsein, um ihr zu sagen, daß sie das Schlimmste hinter sich hatte.
Es besteht kein Grund, Laran heraufzubeschwören, sagte sie zu sich selbst. Das Geräusch des Wassers, des Windes und der Erosion, die fast unmerklichen Hinweise, die das Verhalten meines Pferdes mir gibt, das genügt. Die Logik des Unterbewußtseins vor der Schwelle des Bewußtseins. Ob Laran im Grunde nichts weiter ist als das instinktive Zusammenfügen von lauter kleinen Anhaltspunkten?
Es kommt nicht darauf an, wie man es nennt. Wahrscheinlich hat es mir auf dieser verdammten Klippe das Leben gerettet!
Sie holte ein Stück Brot und etwas Trockenobst aus ihrer Manteltasche und kaute es. Der Wind trieb den Regen an manchen Stellen quer über den Weg und durchweichte den Bissen Brot, bevor sie ihn von der Hand in den Mund praktizieren konnte. Typisch Mann, dachte sie ärgerlich, bei einem solchen Sturm loszureiten. Eine Frau wäre so klug gewesen, erst einen Blick ins Wetter zu werfen und zu warten, bis es sich aufgeklärt hätte. Von Li durfte man nicht erwarten, daß er wußte, welche Launen das Wetter auf Darkover hatte, und nach dem Schnee des Winters mußte es ihm mild vorgekommen sein. Aber er hätte soviel Verstand haben sollen, Jaelle zu fragen. Dazu war sie schließlich da!
6. Kapitel
Als Jaelle erwachte, regnete es immer noch. Glücklicherweise hatte sie es geschafft, den Paß und die schlechteste Strecke des Weges bergab hinter sich zu bringen, bevor es finster geworden war. Sie begriff nicht, warum Li nicht wenigstens bis Hali die Große Nordstraße genommen hatte, um dann westwärts abzubiegen. Nun, sie war sicher ins Tal gelangt und mochte gar nicht darüber nachdenken, wie es gewesen wäre, wenn sie auf dem erodierten, ausgewaschenen Bergpfad im Dunkeln hätte absteigen müssen. Jetzt stieg ihr trotz des Regens ein schwacher Duft in die Nase. Sie hatte ihn lange nicht mehr gerochen, aber den Duft der Kireseth Blüte konnte niemand verkennen, der ihn einmal eingeatmet hatte. Auch wenn Jaelle keine Lust hatte, durch den Regen zu reiten, war das immer noch besser, als in die vom Wind verstreuten reifenden Kireseth-Pollen zu geraten. Es war früh am Morgen, und wenn sie sich schleunigst auf den Weg machte, holte sie Li umso eher ein. Bisher hatte es keine Gefahr gegeben, mit der ein einigermaßen guter Reiter nicht hätte fertigwerden können, und gegen alle Vernunft klammerte sie sich an die Vorstellung, daß sie es spüren würde, wenn ihm unterwegs
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