Gilgamesch - Der Untergang
entgegen gingen, oder war es der Anfang eines weiteren Zyklus, einer neuen Blase an den Börsen, den Immobilienmärkten und in den Realwirtschaften?
Er hatte diese Welt satt, die nur von Gier regiert und von unfähigen Politikern und Wirtschaftsbossen zu ihrem sich ständig wiederholenden perfiden Spiel missbraucht wurde.
Er war kein religiöser Mensch im Sinne der christlichen Traditionen des Abendlandes, in dem er aufgewachsen war, dennoch hatte er beim Studium der Wirtschaftssysteme untergegangener Hochkulturen immer auch deren Kontakt zu ihren Göttern untersucht, da religiös-ethische Wertesysteme deren Wirtschaftssysteme maßgeblich prägten.
Die christlichen Religionen, deren Basis Barmherzigkeit und Mitmenschlichkeit sein sollten, schafften es, ihre Werte ins Gegenteil zu verkehren und sich dabei auch noch gut zu fühlen. Am Sonntag ging man brav zur Kirche und am Montag entließ man mit einem bedauernden Achselzucken tausend Mitarbeiter, die damit die Existenzgrundlage für ihre Familien verloren, mit dem einzigen Ziel, dass sich am Dienstag der Aktienkurs des Unternehmens erholen konnte, der das Reduzieren der Personalkosten mit einem fröhlichen Kursfeuerwerk belohnte. Bei den Maya war er auf eine eigenartige Mischung aus Grausamkeit, Schicksalsergebenheit und florierender Wirtschaft auf höchstem handwerklichem und kulturellem Niveau gestoßen, die ihn von da an faszinierte. Sie opferten auf bestialische Weise eine aberwitzige Anzahl Menschen, waren aber gleichzeitig Astronomen, die Sonnenfinsternisse und Kometen vorhersagten. Sie waren keine Wilden und Martin akzeptierte Menschenopfer nicht für Börsenkurse, sehr wohl aber für einen höheren Zweck, auch wenn er mit den Göttern der Maya nicht allzu viel anfangen konnte.
Ohne Opfer würde diese Krise ohnehin nicht enden, und da war es besser, man machte sich über Anzahl und Auswahl rechtzeitig Gedanken, als einfach mit der gesamten Menschheit planlos in den Abgrund zu marschieren.
Genau diese Einstellung machte ihn empfänglich für eine verschwiegene Gruppe kultivierter Leute, die weder vor dem Opfer anderer noch des eigenen Lebens zurückschreckten.
Ein persönlicher Brief an ihn zeichnete das Bild einer asketischen wie auch emotionslos analytischen Gesinnung, die ihm Respekt abnötigte. Deshalb war er einer Einladung nach Tübingen gefolgt, die mit den Worten begann:
Sie kennen uns nicht, aber wir kennen Sie.
Diese Art von schnörkelloser Direktheit gefiel ihm, und so begab er sich an einem Samstagabend zu einer Zusammenkunft in eine Art Verbindungshaus, die er nie mehr vergessen sollte.
Im tempelartigen Kellergewölbe, das tief unter der neuklassizistischen Villa lag, hatten sich zwanzig Gestalten versammelt, die durch einen schwarzen Umhang und gleichfarbige Kapuze unkenntlich waren. Lediglich die Augen waren frei, sodass bis auf die Farbe alles nach einer Zusammenkunft des Klu Klux Klans aussah.
Auch Martin hatte eine Robe erhalten mit dem ungewöhnlichen Hinweis, dass man darunter sämtliche Kleider ablegen müsse, um so eventuelle Abhörgeräte von den Versammlungen fernzuhalten. Es war ihm reichlich neurotisch vorgekommen, doch man erklärte ihm, dass sehr reiche Mitglieder der Gemeinschaft immer mit einem Lauschangriff auf ihre Firmengeheimnisse rechneten, und sich diese einfache wie effektive Maßnahme bewährt habe.
Da es eine Umkleide gab, nahm er diese kleine Unannehmlichkeit in Kauf und zog sich nackt aus, bevor er die Mönchskutte überwarf. Für die Kleider gab es zudem abschließbare Spinde, sodass er sich keine Sorgen um seine Wertsachen machte.
Er betrat den riesigen Versammlungsraum und man bot ihm ein Glas eines warmen Getränkes an, das alle nahmen, um einen Toast auf die Bruderschaft auszusprechen und feierlich die Geheimhaltung alles Gesprochenen zu geloben. Zur Bekräftigung des Schwures hing eine weiße Rose mit dem Kopf nach unten am riesigen Kronleuchter in der Mitte des Gewölbes. Das Getränk hatte einen exotischen, bitteren Beigeschmack, den Martin nicht identifizieren konnte. Er dachte sich nichts dabei, staunte aber nicht schlecht, als er plötzlich eine Erektion spürte, die offensichtlich nicht nur bei ihm stattfand. Seltsamerweise schien das niemandem peinlich zu sein.
Ein angenehmer Rauschzustand setzte ein, der mit dem Verlust aller Hemmungen einherging.
Zehn bildhübsche junge Frauen in roten Gewändern kamen herein und stellten Tische in die Mitte der Versammlung. Als sie alle gleichzeitig die
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