GK099 - Das Bildnis des Samurai
selbst ein Urteil an Ort und Stelle bilden wolle.
Er hatte nichts dagegen.
Ich versuchte den Amerikaner zu taxieren.
Es gelang mir nicht. Ich wusste einfach nicht, wo ich ihn einstufen sollte.
Ich fragte mich, ob mit ihm alles in Ordnung wäre. Er kam mir ein bisschen eigenartig vor.
Aber um festzustellen, ob er lupenrein war, hätte ich Mr. Silver bei mir haben müssen.
Er sprach sehr gut von Michiko. Und er bedauerte offensichtlich, was mit ihr geschehen war.
Er fand auch über Tucker Peckinpah nur lobende Worte, nannte ihn einen schlauen Geschäftsmann, der genau wisse, was er wolle, und der keinen Zoll breit von seiner vorgefassten Meinung abweiche.
Trotzdem fiel mir dieses verschlagene Funkeln in Abraham Jacobs' Augen auf, das mir nicht geheuer war.
Wir redeten über Akihito Togo.
Jacobs nannte den Mann einen begnadeten Künstler.
Ich war nahe daran, ihm zu sagen, was mit Togo los war, doch irgendetwas riet mir, dies unerwähnt zu lassen.
Mir fiel der Name Yorimoto Wara ein. Togo hatte uns gesagt, dass alles in dessen Auftrag geschehen würde.
Yorimoto Wara, der Samurai, trieb die Menschen in den Tod.
Aber wie?
Ich fragte Jacobs, ob er von dem Samurai schon gehört habe.
Er schaute mich verblüfft an, schien zu staunen, dass ich diesen Namen kannte.
»Natürlich habe ich schon von Wara gehört, Mr. Ballard«, sagte der Amerikaner.
»Erzählen Sie mir ein wenig über ihn.«
»Aber gern.«
James Mey kam hinzu.
Er hatte seinen großen Zeichenblock um ungefähr zwanzig Skizzen bereichert. Nun strahlte er glücklich.
Er setzte sich zu uns, bedankte sich für die Gastfreundschaft des Amerikaners und nahm gern eine Tasse Tee.
Nachdem er sie getrunken hatte, bat uns Jacobs in sein Haus. Er wollte uns etwas zeigen, wie er sagte.
Ich war gespannt, was es war, war auch neugierig, warum er - trotz der Bereitwilligkeit, die er zuvor bekundet hatte - nun doch nicht über Wara sprach.
Wir durchschritten zwei Räume, in denen kostbare Antiquitäten standen.
Im dritten Raum beherrschte ein riesiges Gemälde die Wand.
Das Licht fiel so zum Fenster herein, dass das Bild auf eine seltsame Weise zum Leben erweckt wurde.
Unter dem Ölgemälde stand eine längliche Glasvitrine, in der sich das kostbare Schwert eines Samurai befand.
»Zwölftes Jahrhundert!«, sagte Jacobs stolz. Er tat so, als gehörten ihm alle diese Schätze, dabei war er bloß der Pächter dieses Hauses. Somit hatte er auch die Antiquitäten nicht gekauft, sondern bloß gepachtet.
»Wessen Schwert ist das?«, fragte ich beeindruckt.
Mir gefiel die Arbeit. Für die Fertigung dieser Waffe musste sehr viel Zeit verwendet worden sein. Und noch mehr Sorgfalt.
»Es gehörte ihm«, sagte Jacobs und wies auf den Mann, den das Gemälde darstellte.
Uns blickte ein trotziges Gesicht an. Der Japaner war in weite, wallende Gewänder gekleidet. Er machte einen grausamen, unerbittlichen Eindruck. Seine Augen schienen zu leben. Sie starrten uns geradezu feindselig an.
Eine unheimliche Ausstrahlung ging von diesem Gemälde aus.
Ich fühlte, wie sich mein magischer Ring fester um meinen Finger schloss, um mich zu warnen.
Allem Anschein nach war dies das Gemälde eines Dämons.
Ich trat einen Schritt näher heran.
James Mey war von der Künstlerarbeit so entzückt, dass es ihm die Sprache verschlug.
Auf einem kleinen Goldplättchen unterhalb des kostbaren Rahmens stand der Name YORIMOTO WARA.
Geboren im Jahre 1130.
Ich schaute Jacobs verwundert an.
»Was ist, Mr. Ballard?«
»Das ist also Wara.«
»Ja, Mr. Ballard. Das ist er.«
»Geboren im Jahre 1130«, sagte ich.
»So steht es hier.«
»Es steht aber nicht hier, wann er gestorben ist«, sagte ich.
Jacobs lächelte mich seltsam an.
»Es heißt, dass Yorimoto Wara unsterblich ist, Mr. Ballard.«
»Wollen Sie damit sagen, dass der Samurai noch lebt?«, fragte ich.
»Wenn er nicht gestorben ist, muss er wohl noch leben«, gab Jacobs schmunzelnd zurück.
»Wo lebt er?«
»Keine Ahnung.«
»Niemand ist unsterblich, Mr. Jacobs.«
»Nun ja. Die Sage berichtet, dass man Wara nur auf eine einzige Art töten könnte. Man müsste dieses Samuraischwert nehmen, das ihm gehört, und ihm damit den Kopf vom Rumpf trennen. Dann würde er sterben. Aber wer kann das schon? Vor allem, wer weiß, wo sich Wara befindet.«
»Er richtet Unheil an, Mr. Jacobs«, sagte ich ernst.
»Er?«, fragte der Amerikaner erstaunt. »Er ist doch bloß ein Gemälde, Mr. Ballard.«
»Er zwingt Menschen dazu,
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