Komm mit mir nach Kreta
1. KAPITEL
Costas stellte den Motor ab und betrachtete das Haus. Es war ein moderner Bungalow in einem Vorort von Sydney, ein schlichter massiver Bau, der jedoch allem Anschein nach in letzter Zeit vernachlässigt worden war. Postwurfsendungen quollen aus dem Briefkasten, und der Rasen hätte dringend gemäht werden müssen.
Stirnrunzelnd stieg Costas aus dem Auto. Obgleich der nicht geleerte Briefkasten vom Gegenteil zeugte, war er sicher, dass sie zu Hause war. Wenigstens war sie es gewesen, bevor er vor knapp dreißig Stunden Athen verlassen hatte. Sie nicht anzutreffen wäre eine Katastrophe, und Costas schob jeden Gedanken daran beiseite. Es stand zu viel auf dem Spiel, diese Reise durfte kein Misserfolg werden. Es war seine letzte Chance.
Er streckte sich und versuchte, seine verkrampften Schultermuskeln zu lockern. Wie immer war er erster Klasse geflogen, hatte aber dennoch nicht schlafen können. Die ständige Anspannung, unter der er nun schon so lange litt, war nicht für einen Moment von ihm gewichen. Seit drei Tagen hatte er nicht geschlafen und so gut wie nichts gegessen. Und bevor er von dieser Frau nicht bekam, was er wollte, würde er sich auch keine Ruhe gönnen – weder sich selbst noch ihr.
Es dauerte nur wenige Sekunden, die Straße zu überque ren, das niedrige Gartentor zu öffnen und den Zementweg zum Haus entlangzugehen. Costas klingelte und blickte missfällig über die kleine verkommene Terrasse hin zu den Spinnweben in den Ecken des vorderen Fensters. Offenbar war sie keine gute Hausfrau. Und das überraschte ihn gar nicht.
Gereizt klingelte er noch einmal. Wie konnte sie nur so selbstsüchtig sein? Aber jetzt würde er ihr zeigen, dass sich ein Costas Palamidis nicht abschütteln ließ.
Costas postierte den Finger auf dem Klingelknopf. Das unaufhörliche Läuten hallte durchs Haus. Gut! Diesen Lärm konnte niemand lange aushalten. Das würde sie in Bewegung bringen.
Trotzdem musste sich Costas noch etliche Zeit gedulden, bevor er drinnen eine Tür zuschlagen hörte. Dann fingerte jemand ungeschickt am Türschloss herum. Seine Anspannung stieg. Jetzt konnte sie ihm nicht mehr ausweichen. Und wenn sie sich erst einmal gegenüberstanden, würde ihr gar nichts anderes übrig bleiben als das zu tun, weshalb er gekommen war. Costas dachte daran, wie oft er bei ihr angerufen und dringend um einen Rückruf gebeten hatte. Nicht ein einziges Mal hatte sie sich gemeldet. Er atmete tief durch. Es würde ihm seine ganze Selbstbeherrschung abverlangen, sein Anliegen noch mit Freundlichkeit vorzubringen. In Anbetracht ihrer Missachtung war er allerdings eher in der Stimmung, auf alle Nettigkeiten zu verzichten und ihr stattdessen ummissverständlich zu drohen.
Endlich wurde die Tür geöffnet, und Costas erstarrte. Sein Blick fiel auf eine junge Frau, eindeutig nicht diejenige, die er suchte, aber … du lieber Himmel! Das Herz schlug ihm bis zum Hals, Schweiß trat ihm auf die Stirn, und er fühlte ein unangenehmes Kribbeln im Nacken. Costas glaubte das Gespenst seiner vor wenigen Monaten verstorbenen Frau zu sehen.
Die Frau besaß dieselben klassisch schönen Gesichtszüge, dieselben großen Augen, die schmale Nase, den schlanken Hals … Ein, zwei Sekunden lang erlag er der Sinnestäuschung, dann meldete sich sein gesunder Menschenverstand. Diese Frau war ein Mensch von Fleisch und Blut, kein Gespenst, das ihn aus der Vergangenheit heimsuchte.
Und jetzt nahm er auch die feinen Unterschiede wahr: Fotini hatte dunkle Augen gehabt, diese hier schimmerten goldbraun. Costas sah den volleren Mund, dessen Lippen einen perfekt geschwungenen Bogen bildeten. Sein Blick fiel auf ihr zerzaustes schwarzes Haar mit dem kastanienbraunen Schimmer, die zerknitterte Bluse und den verrutschten schwarzen Rock. Zweifellos hatte die Frau gestern Abend ausschweifend das Ende der Woche gefeiert und war wohl noch in ihrer Berufsbekleidung zusammengebrochen. Er registrierte abschätzig ihr blasses Gesicht, die dunklen Schatten unter den Augen, die ihn ausdruckslos anstarrten und fragte sich, ob bei ihren Exzessen nur Alkohol floss oder auch andere Drogen eine Rolle spielten.
Doch was kümmerte ihn das? Ihr Anblick irritierte ihn, weil er zu viele Erinnerungen wachrief, aber Costas hatte keine Zeit, sich damit zu beschäftigen. Ihn interessierte nur die Frau, derentwegen er um die halbe Welt gereist war.
„Ich suche Christina Liakos“, sagte er.
Sie sah ihn benommen an.
War sie nüchtern genug, um ihn zu
Weitere Kostenlose Bücher