Glaub an das Glück, Annabelle! (German Edition)
Diese kamen entweder als Geste, Wortkommando oder Pfiff. Einige Fohlen zeigten sich gelehriger als andere, und daneben gab es natürlich auch die ‚jungen Wilden‘. Doch Stefano verlor nie die Geduld und ging individuell und behutsam auf jedes Tier ein.
Die ganze Zeit über schien die Sonne erbarmungslos auf sie herab, und mehr als einmal wischte er sich mit dem Hemdsärmel den Schweiß vom Gesicht. Auch Annabelle war ziemlich heiß, und sie wurde zunehmend nervöser, weil sie ihre überschminkte Narbe einfach nicht vergessen konnte.
Plötzlich kam Stefano direkt auf sie zu. „So, jetzt du!“, forderte er.
Augenblicklich schlug ihr Herz oben im Hals. „Oh, nein, ich …“
„Hier.“ Er drückte ihr das Seil in die Hand und trat zur Seite. „Lass ihn zunächst um dich herum im Kreis laufen“, befahl er in dem gleichen ruhigen Ton, den er die ganze Zeit auch den Fohlen gegenüber angeschlagen hatte.
Annabelle versuchte, alles andere um sich herum auszuschalten und befolgte so gut wie möglich Stefanos Anweisungen. Doch das Training, das eben noch so leicht gewirkt hatte, geriet zu einer echten physischen Herausforderung, da das Fohlen sofort merkte, dass hier nicht mehr der Meister am Werk war.
Nach ein paar halbherzigen Ausreißern begann es zu buckeln, warf den Kopf auf und riss am Seil, was schmerzhafte Folgen für die weiche Haut an Annabelles Handinnenflächen hatte.
Doch Stefano ließ nicht locker und brachte nacheinander noch drei weitere Fohlen in den Pferch. Annabelle war inzwischen so fertig, dass sie schon sehnsüchtige Halluzinationen von ihrem kühlen Gästezimmer hatte und nur noch an eine erfrischende Dusche und ein weiches Bett denken konnte.
Was sie trotzdem weitermachen ließ, war das Echo von Stefanos Worten, das in ihrem Hinterkopf widerhallte: Ich glaube, du würdest lieber sterben als aufzugeben, wenn dir etwas wirklich wichtig ist. Du musst dich nur erinnern …
Und ich werde nicht aufgeben! sagte sie sich ein ums andere Mal grimmig. Warum ihr Stefanos Meinung plötzlich so viel bedeutete, hätte sie nicht einmal sagen können. Aber sie war ihr Antriebsmotor und Rettungsanker zugleich. Es war wie das Versprechen auf ein neues, anderes Leben als das, das sie in den letzten zwanzig Jahren geführt hatte. Ein furchtloses Leben voller Leidenschaft und Spaß.
Um die Mittagszeit zitterte Annabelle vor Erschöpfung am ganzen Körper. Als Stefano ihr wortlos das Lasso aus den wunden Fingern nahm, hätte sie vor Erleichterung fast geweint.
„Sind wir fertig?“, fragte sie heiser.
„Fertig? Der Tag hat doch kaum angefangen!“, nahm er ihr alle Illusionen. „Aber die roten Wangen stehen dir, Querida . Ich glaube, so langsam bekommst du eine Ahnung davon, was es heißt, sich lebendig zu fühlen.“
Ein seltsamer Schmerz überflutete sie wie eine heiße Welle. „Ich weiß nicht … ich kann nicht …“ Sie brach ab und hob hilflos die Schultern.
„Doch, du kannst, aber erst werden wir uns stärken.“
Keine fünf Minuten später saßen sie auf einer grob gezimmerten Bank im Schatten des Unterstands und aßen Señora Gutierrez’ fürsorglich zubereitete Sandwiches, die kaum unter dem Transport in den Satteltaschen gelitten hatten. Für Annabelles Geschmack war die Mittagspause viel zu schnell vorüber. Als es zurück an die Arbeit ging, hatte sie Mühe, nicht in Tränen auszubrechen.
Die folgenden Stunden laugten sie völlig aus. Zu Tode erschöpft, dehydriert, mit hämmernden Schläfen und schmerzenden Gliedmaßen bereute sie es zum ersten Mal, sich nicht umgezogen zu haben.
Ihr schicker Hosenanzug war staubig und völlig zerknittert, die teuren Schuhe verdreckt und zerkratzt. Hoffentlich war bald Feierabend! Noch viel länger konnte doch kein Mensch diese schweißtreibende Arbeit aushalten … oder doch?
Als Stefano ein weiteres Tier in den Pferch führte, hätte Annabelle vor Frustration fast laut aufgekreischt.
„Schau dir nur diese hübsche Lady an“, sagte er weich. „Kannst du dir vorstellen, dass ihr vorheriger Besitzer sie brutal geschlagen hat? Ich brauchte mehrere Monate, um ihr die Angst zu nehmen und ihr wieder Vertrauen einzuflößen.“ Sanft drückte er Annabelle die Führleine in die Hand. „Halt sie gut fest.“
Bildete sie sich das nur ein, oder lag da so etwas wie Mitleid in seinen dunklen Augen? Mitleid mit wem?
Annabelle glaubte zu verstehen und versuchte, den Knoten runterzuschlucken, der ihr plötzlich im Hals steckte. „Du denkst, ich bin wie
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