Gleichbleibend Schoen
Straßenrand. Wir fuhren weiter, an dicht bewachsenen Hügeln vorbei, blaugrün und glatt aus der Ferne, von Nahem aber struppig und steinig. Oben auf den Hügeln Tupfen von kleinen Bäumen mit runden Kronen. Sie sahen aus wie die Bäume mit kandierten Äpfeln auf Kinderzimmertapeten. Über ihnen spannte sich zwischen rosa angehauchten Wolken fest und glatt der strahlend blaue Himmel. Die Straße vor uns glich einem Schnürsenkel aus weißem Staub. Alles leuchtete in Grundfarben, acrylklar und schonungslos realistisch. In meinem Buspanzer schrammte ich durch das Gemälde dieses makellos klaren, perfekten Tages. Ich war ein Sack aus weißer Haut, in dem leidenschaftliche Rot- und Lilatöne und gelbgrüne Eifersucht brodelten. Wenn dieser Sack aufplatzte, würden die Farben herausfließen und die Landschaft verderben. Doch er platzte nicht. Platzen vor Glück – oder was auch immer –, so etwas gibt es nicht.
Als der Bus um die nächste Ecke schlingerte, sah ich Ben. Er warte immer auf die Post, sagte er. Ben hatte viele Freunde im Ausland, deren blassblaue Briefe seine Leinentasche füllten und sein Leben interessant machten.
*
Einmal hatte Ben versucht, im Ausland zu leben. Mit Frau und Sohn hatte er ein Schiff nach England genommen. In dem schäbigen kleinen Zimmer in London machten ihn der Anblick der Ratten und der Schmutz der Großstadt so fertig, dass sie in ein Provinzstädtchen in den Midlands zogen. Sie mieteten das letzte Haus in einer langen Zeile grauer Reihenhäuser. Manche behaupteten, es sei die längste Reihenhauszeile Englands; später hat der National Trust sie unter Denkmalschutz gestellt. Das letzte Haus, seines, endete in einer blinden Backsteinmauer, dahinter war nur noch trostlose Ödnis. In der ersten Woche borgte sich Ben eine Leiter und malte in leuchtenden Farben eine tropische Landschaft auf die Mauer. Sie wurde zu einer Sehenswürdigkeit. Ein Mann von der Sunday Times kam vorbei und machte Fotos, die als Beispiel für urbane Straßenkunst in der farbigen Zeitungsbeilage erschienen. Irgendjemand hatte den Artikel ausgeschnitten und an Ben geschickt, der ihn an die Wand seines Arbeitsraums pinnte. Dort hing er, vergilbt von der Hitze vieler Sommer und von Fliegendreck übersät, immer noch.
Durch die hinteren Fenster des Reihenhauses sah Ben, so weit das Auge reichte, nur gepflügte Felder, in die aber scheinbar nie etwas gesät wurde. Im Winter begann es zu schneien. Meilenweit nichts als weiße Stille, aus der nur Bens leuchtende tropische Landschaft hervorstach. Die Welt war so glitzernd, so sauber und rein, dass er die Nerven verlor. Nachdem er einen Streit angezettelt und alle Fenster eingeschlagen hatte, lief er eines Abends weg, zurück nach London, wo er zehn graue Tage verbrachte, in denen seine Frau vor Sorge verrückt wurde. Auf dem kalten englischen Land wartete sie ab, dass es vorbeiging, und verbrannte unterdessen seine Bilder, damit sein Sohn es warm hatte und überlebte. Am Schluss stand Ben mit leeren Händen da. Die Reise war umsonst gewesen.
Ich wusste das nicht von ihm, sondern von Gloria. Wir hatten mit einem Schuhkarton voller Fotos, die sie mir zeigen wollte, an einem von der Sommerhitze ausgetrockneten Bachbett gesessen. Erinnerungen an die Reise. Um das Beste daraus zu machen, hatten sie für die Heimreise die lange Strecke quer durch Europa und verschiedene andere Ecken der Welt gewählt. Sie zeigte mir ein Foto von sich, auf dem sie mit ihrem Sohn auf dem Arm auf dem schiefen Turm von Pisa stand.
» Dort habe ich beschlossen, mich umzubringen. Ich wollte springen – natürlich hätte ich den Jungen vorher abgesetzt –, aber Ben hat mich aufgehalten. Menschen, die andere daran hindern, sich umzubringen, finde ich langweilig. Und dumm.«
Sie machte den Deckel der Schuhschachtel wieder zu und erzählte mir die Geschichte der Reise. Ihr großer Sonnenhut warf Schatten auf ihr Gesicht. Schnee, Eis und die elende Einsamkeit, die sie mir beschrieb, schienen in sicherer Entfernung zu liegen – ganz weit weg. Ich lächelte. Als wir langsam zum Haus zurückgingen, hielt ich ihre Hand und hoffte, dass sie sich in ihrer heißen Heimat sicher fühlte.
*
Ich sah Ben. Er wartete auf den Bus, auf die Post und, weil Donnerstag war, auf mich. Der Bus bremste vor seinen Füßen. Staub wirbelte auf und hüllte ihn in eine Wolke. Er trug eine lange schwarze Djellaba und Sandalen – ein Araber am falschen Ort.
Die Einheimischen hielten ihn für verrückt.
Seine Frau
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