Meister der Stimmen: Roman (German Edition)
Kapitel 1
I m Gefängnis unter der Burg Allaze, in den dunklen, moderigen Zellen, wo die größten Verbrecher von Mellinor den Rest ihres Lebens damit verbrachten, Steine zu zählen, um nicht verrückt zu werden, versuchte Eli Monpress eine Tür aufzuwecken.
Es war eine schwere Eichentür in einem Eisenrahmen, die von einem übereifrigen Schreiner vor Jahrhunderten so geschaffen worden war, dass sie mehr Ecken als unbedingt nötig hatte. Die Kanten waren sorgfältig angepasst, um bündig mit den schmutzigen Steinwänden abzuschließen, und die schweren Bretter waren so eng aneinandergenagelt, dass nicht einmal der flackernde Fackelschein sich hindurchzwängen konnte. Insgesamt war der Effekt ziemlich übertrieben, die Konstruktion so übermenschlich stark, dass das schwarze Gebilde längst nichts mehr mit bloßer Gefangenschaft zu tun hatte und für den Inhaftierten zum Inbegriff der Hoffnungslosigkeit geworden war. Eli entschied, sich auf das Holz zu konzentrieren; das Eisen hätte ewig gebraucht.
Er ließ die Hand über die Maserung gleiten, und seine langen Finger klopften das Holz auf eine Weise, die ein lebender Baum schrecklich störend gefunden hätte, totes Holz aber als so beruhigend empfindet wie ein Ohrenkraulen. Letztendlich zitterten die Bretter ein wenig und sagten mit trockener, splittriger Stimme: »Was willst du?«
»Mein lieber Freund«, antwortete Eli, ohne mit dem Klopfen aufzuhören, »die eigentliche Frage hier lautet: Was willst du?«
»Entschuldigung?«, klapperte die Tür vollkommen verwirrt. Sie war es nicht gewöhnt, dass man ihr Fragen stellte.
»Na ja, findest du es nicht unfair?«, meinte Eli. »An deiner Maserung kann ich ablesen, dass du einst ein großer Baum warst. Und doch bist du jetzt hier, ohne eigenes Verschulden von der Sonne abgeschnitten, und das durch grausame Steine, die sich nicht im Geringsten für dein Wohlbefinden oder deine Gesundheit interessieren.«
Die Tür klapperte wieder, bis der Staub von den Angeln fiel. An der Stimme dieses Mannes war irgendetwas falsch. Für einen normalen Menschen war sie zu klar, und die Überzeugung in seinen Worten ließ seltsame Erinnerungen aufsteigen. Die Tür fühlte sich plötzlich unbehaglich.
»Warte«, grummelte sie misstrauisch. »Du bist doch kein Magier, oder?«
»Ich?« Eli schlug sich eine Hand an die Brust. »Ich, einer dieser Vertrauensschwindler und Manipulator von Geistern? Allein schon der Gedanke beleidigt mich! Ich bin nur ein Wanderer, der von Ort zu Ort zieht, sich die Sorgen der Geister anhört und das wenige tut, was er kann, um dafür zu sorgen, dass es ihnen bessergeht.« Er fuhr mit seinem angenehmen Klopfen fort, und die Tür entspannte sich unter seinen Fingern.
»Also«, sie lehnte sich ein wenig vor und senkte ihr Knarren verschwörerisch, »wenn das so ist, dann möchte ich dir doch anvertrauen, dass die Nägel mich ein wenig stechen.« Sie knarrte, und die Nägel ragten für eine Sekunde aus dem Holz hervor, bevor sie wieder versanken. Die Tür seufzte. »Die Dunkelheit macht mir nicht so viel aus, und auch nicht die Feuchtigkeit. Aber die Leute werfen mich immer mit Wucht zu, und das treibt die schwarzen Spitzen immer tiefer hinein. Es tut schrecklich weh, aber anscheinend interessiert das niemanden.«
»Lass es mich mal anschauen«, sagte Eli mit sanfter, besorgter Stimme. Er musterte die Tür eingehend und ließ seine Finger über die Fugen gleiten. Die Tür wartete unruhig und knarzte jedes Mal, wenn Elis Hand über eine Stelle glitt, an der die Nägel scheuerten. Als er seine Untersuchung abgeschlossen hatte, lehnte Eli sich zurück und stützte scheinbar gedankenverloren den Kopf auf die Faust. Nach ein paar Minuten wurde die Tür ungeduldig, was für eine Tür ein sehr unangenehmes Gefühl ist.
»Und?«, krächzte sie.
»Ich habe die Antwort gefunden«, sagte Eli und ging vor der Türschwelle in die Knie. »Diese Nägel, die dich so belästigen, sind da, um dich an dem Eisenrahmen festzuhalten. Allerdings«, Eli hob in einer weisen Geste den Finger, »bleiben sie nicht von allein im Holz. Sie sind nicht eingeklebt; sie haben keine Widerhaken. Anscheinend werden sie nur vom Druck des Holzes festgehalten. Also«, er zog eine Augenbraue hoch, »bleiben sie nur aus einem einzigen Grund im Holz – weil du sie festhältst.«
»Natürlich!«, rumpelte die Tür. »Wie sollte ich sonst aufrecht stehen bleiben?«
»Wer hat gesagt, dass du aufrecht bleiben musst?«, meinte Eli und spreizte in
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