Gletschergrab
merkte, dass etwas los war.
»Stimmt etwas nicht?«, fragte er.
»Gerade war ein Mann hier, der beinahe einen Stuhl nach mir geworfen hätte. Sonst ist alles in Ordnung.«
»Einen Stuhl geworfen? Mit was für Typen hast du da eigentlich im Ministerium zu tun?«
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»Mit der russischen Mafia, nehme ich an. Es handelt sich um eine Verschwörung. Was gibt’s Neues bei dir?«
»Alles in Ordnung. Ich habe mir gerade ein neues Handy gekauft. Kannst du mich gut verstehen?«
»Wie immer eigentlich.«
»Wie immer eigentlich«, äffte er nach. »Weißt du, wo ich gerade bin?«
»Wo bist du denn?«
»In der Nähe von Akureyri. Die Bergrettungsgesellschaft ist gerade auf dem Weg zum Vatnajökull hinauf.«
»Auf den Gletscher? Mitten im Winter?«
»Eine Winterübung. Das habe ich dir doch schon erzählt.
Morgen sind wir auf dem Gletscher, dann rufe ich dich nochmal an. Du musst mir sagen, wie das Handy ist. Ist die Tonqualität jetzt nicht in Ordnung?«, fragte er wieder.
»Super. Bleib bei der Gruppe. Hast du verstanden? Keine Extratouren auf eigene Faust.«
»Eben. Hat auch siebzigtausend Kronen gekostet.«
»Was?«
»Das Handy. Es ist ein NMT-Gerät, das funktioniert auch in unbewohnten Gebieten außerhalb des GPS-Netzes.«
»NMT? Du spinnst wohl. Over and out.«
»Man sagt nicht ›over and …‹«
Sie legte auf. Ihr Bruder Elías war zehn Jahre jünger als sie und hatte unzählige Hobbys, die meist etwas mit Outdoor-Aktivitäten zu tun hatten. In einem Jahr war es die Jagd. Da hatte er ihre Tiefkühltruhe mit Wildgänsen und Rentierfleisch gefüllt. Im nächsten war es das Fallschirmspringen.
Ununterbrochen hatte er versucht, sie zu überreden, mit ihm gemeinsam zu springen, aber ohne Erfolg. Im dritten Jahr war es Riverrafting, dann Jeepsafaris im Hochland, Gletschertouren, 23
Skitouren, Motorschlittentouren und so weiter und so fort. Er war bei der Bergnotrettungsgesellschaft in Reykjavik. Es sah ihm ähnlich, ein Handy für 70.000 Kronen zu kaufen. Er war verrückt nach der neuesten Technik. In seinem Jeep sah es vorne wie in einem Cockpit aus.
In dieser Hinsicht waren sich die Geschwister überhaupt nicht ähnlich. Wenn der Winter kam, würde Kristín sich am liebsten verkriechen und erst im Frühjahr wieder zum Vorschein kommen. Sie unternahm niemals Ausflüge ins Hochland, und im Winter verreiste sie überhaupt nicht in Island. In den Sommerferien hielt sie sich an die Ringstraße an der Küste und übernachtete in Hotels. Ansonsten verbrachte sie ihren Urlaub im Ausland: in den USA, wo sie studiert hatte, oder in London bei Freunden, die dort lebten. Zur dunkelsten Jahreszeit in Island buchte sie manchmal eine Woche Strandurlaub im Süden. Sie ertrug die Dunkelheit und die Kälte nur schwer. Manchmal wurde sie von Depressionen gepackt, wenn die Dunkelheit sie zu verschlingen schien.
Abgesehen davon verstanden sich die Geschwister gut.
Weitere Geschwister gab es nicht, und trotz des Altersunterschieds von zehn Jahren – oder gerade deswegen –
hatten sie sich immer nahe gestanden. Elías arbeitete bei einer großen Kfz-Werkstatt in Reykjavik, die Jeeps zu Monstertrucks tunte. Kristín war Juristin, hatte ein Diplom in Völkerrecht von einer kalifornischen Universität und war seit zwei Jahren beim Außenministerium angestellt. Ihre Stelle war ihrer Ausbildung angemessen. Besuche wie der heutige waren zum Glück die Ausnahme.
Hoffentlich ist er vorsichtig da oben auf dem Gletscher, dachte Kristín auf dem Weg nach Hause. Das Gespräch mit Randolf ließ sie nicht los. Sie hatte das Gefühl, beobachtet zu werden, als sie durch die Fußgängerzone in der Innenstadt ging und vom Laugarvegur in ihre Straße, den Tómasarhagi, einbog. Solche Gefühle kannte sie sonst gar nicht, und sie sagte sich, dass es 24
sich dabei wohl um eine Nachwirkung des unangenehmen Gesprächs handelte. Sie schaute sich um, sah aber nichts Verdächtiges und schüttelte dann den Kopf über ihre Nervosität.
Trotzdem fühlte sie sich irgendwie unwohl.
Sie war allerdings noch nie zuvor bezichtigt worden, Bestechungsgelder von der russischen Mafia anzunehmen.
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Die C-17-Transportmaschine der amerikanischen Streitkräfte landete abends um acht Uhr Ortszeit auf dem Flugplatz in Keflavík. Es war kalt, ein paar Grad unter null, aber der Wetterbericht sagte steigende Temperaturen und starken Schneefall voraus. Der mächtige Rumpf der Maschine rollte in der Winterdunkelheit ans Ende der Landebahn sieben, die
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