Glockenklang von Campanile
“Ich dachte, ich könnte dich überzeugen, unsere Liebe zu retten – aber was weißt du schon von der Liebe?”
“Ich weiß nur, unsere war ein Fehler”, erklärte sie unter Tränen. “Wenn es überhaupt Liebe war. Manchmal denke ich, wir hatten es mit einer hübschen Illusion zu tun.”
Sonia erinnerte sich noch gut an sein bitteres Lachen. “Wie schnell du Liebe als Unsinn abtust, sobald es dir in den Kram passt. Es war dumm von mir zu glauben, dass du das Herz einer Frau hast. Du willst nichts mehr von mir wissen? Na schön, ich will auch nichts mehr von dir wissen. Es ist vorbei.”
So hatte sie ihn noch nie erlebt. Sicher, er war oft zornig gewesen in ihrer kurzen Ehe, das lag an seinem südländischen Temperament. Aber so schnell wie der Zorn aufgeflammt war, war er auch wieder verraucht. Diese kalte, entschlossene Zurückweisung hingegen war etwas völlig Neues. Eigentlich hätte sie froh sein sollen, dass er ihre Entscheidung akzeptierte, stattdessen war sie unerklärlich verzweifelt gewesen.
Sie hatte versucht, vernünftig zu sein. Hatte sich gesagt, das war’s, Zeit für einen Schlussstrich.
Der nächste Morgen belehrte sie eines Besseren. Die ungewohnte Übelkeit kurz nach dem Aufwachen versetzte sie in Panik. Ein Test bestätigte den schockierenden Verdacht. Sie trug Francescos Kind unter dem Herzen, und sie hatte es erfahren, einen Tag nachdem er wütend verkündet hatte, nichts mehr von ihr wissen zu wollen.
Immer wieder hörte sie diese Worte. Sie hörte sie jedes Mal, wenn sie nach dem Hörer griff, um ihm von dem Kind zu erzählen. Und jedes Mal zog sie die Hand wieder zurück, bis sie schließlich gar nicht mehr versuchte, ihn anzurufen.
So hatte Tomaso sie mit großen Augen angestarrt, als er sie in London besuchte und ihren Zustand erkannte.
“Du erwartest ein Kind von ihm, und er weiß es nicht einmal?”
Es rührte ihr Herz, dass er nicht einmal daran dachte, das Kind könnte von einem anderen Mann als Francesco sein. Aber Tomaso hat immer nur das Beste von mir gedacht, erinnerte sie sich. Deshalb fiel es ihr schwer, ihm seine Bitte abzuschlagen.
“Wie kann ich jetzt zurückgehen?”, fragte sie und deutete auf ihren Bauch. “Wenn Francesco mich so sieht, wühlen wir etwas auf, was besser vergessen bleiben sollte.”
“Sei unbesorgt”, versicherte ihr Tomaso. “Francesco macht gerade einer anderen den Hof.”
Sonia verdrängte rasch die feine innere Stimme, die ihr zurief: So schnell schon? Schließlich hatte sie ihn doch verlassen und nicht umgekehrt, oder? Er war ein warmherziger Mann, der nicht lange allein sein würde. Sie hatte kein Recht, sich zu beschweren.
Aber sie bestand darauf, dass Francesco vorgewarnt wurde. Tomaso griff zum Telefon und hatte bald seinen Sohn am Apparat. Sonia verstand kein Wort der Unterhaltung, weil sie Venezianisch, vorgebracht in rasendem Tempo, nie richtig gelernt hatte. Schließlich legte Tomaso auf und verkündete: “Kein Problem. Francesco sagt, es ist dein Kind. Er wird sich nicht einmischen.”
“Das ist gut.” Sonia bemühte sich um einen fröhlichen Tonfall. Es war doch genau das, was sie wollte. Wenn er nicht an seinem eigenen Kind interessiert war, dann sollte es ihr recht sein.
Aufgrund ihrer fortgeschrittenen Schwangerschaft wollte sie nicht fliegen, und sie buchten eine Zugfahrt nach Venedig. Wie es der Zufall wollte, war sie auch damals auf diesem Weg nach Venedig gekommen, weil sie sich zu spät um ein Flugticket gekümmert hatte.
Tomaso warf ihr einen Blick zu, als sie sich setzte, anstatt einen Blick aus dem Fenster zu werfen. “Willst du nicht sehen, wie Venedig dich nach so langer Zeit willkommen heißt?”
“Oh,
Poppa
, das ist doch albern”, protestierte Sonia, lächelte aber dabei, um ihren Worten die Schärfe zu nehmen. “Venedig gaukelt dem Betrachter hübsche Trugbilder vor, und ich habe den Fehler begangen, sie für Realität zu halten.”
“Und nun begehst du den Fehler, der Stadt ihre Schönheit übel zu nehmen.”
“Ich hatte mich in sie verliebt und wurde enttäuscht.”
Er antwortete nicht, sah sie aber traurig an.
“Also gut, ich schaue einmal hinaus”, sagte sie, um ihm einen Gefallen zu tun.
Sonia erlebte eine Überraschung. Wo war der Zauber, das langsame Auftauchen der vom Sonnenlicht beschienenen goldenen Kuppeln? Wie hatte sie vergessen können, dass es Ende Dezember war? Auf dem Meer waberte grauer Dunst, hüllte die Stadt wie in Watte ein. Als sie sich dann langsam aus dem
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