Glockenklang von Campanile
hatte eigentlich ins Bad gehen wollen, war aber auf der falschen Seite des Betts gelandet.
“Ich sehe nicht hin”, versprach er, als er ihr Dilemma begriff.
Er wandte sich ab und bedeckte mit einer solch theatralischen Geste die Augen, dass sie lachen musste.
“Ich schaue nicht”, versprach er ihr über die Schulter hinweg. “Ich bin ein Gentleman.”
“Sie hätten mir nicht hierher folgen sollen. So verhält sich kein Gentleman.”
“Aber ein Mann”, erwiderte er bedeutungsvoll.
Sie band ihren Gürtel fest. “Okay, ich bin angezogen.”
Er drehte sich um. “Ja, das sind Sie”, sagte er mit Bedauern in der Stimme.
“Würden Sie mir jetzt bitte erklären, was Sie in meinem Zimmer tun?”
“Morgen beginnt die Glasmesse, und eine der größten Ausstellungen der Stadt findet hier im Hotel statt. Der Manager ist ein guter Freund und sagte mir, dass in dieser Kammer normalerweise niemand übernachte. Ich könne sie also kurzzeitig als Lagerraum für mein Glas nutzen.”
“Ich habe erst in letzter Minute gebucht. Ich glaube, es war das letzte freie Zimmer in ganz Venedig.”
“Verzeihen Sie mir – ich hätte vorher fragen sollen, ob es frei ist.” Er lächelte sie entschuldigend an, ein sehr gewinnendes Lächeln. “Aber dann hätte ich Sie nie kennengelernt. Und das wäre eine Tragödie gewesen.”
Unwillkürlich zog sie beim Klang seiner Stimme ihren Morgenmantel enger um sich. Er sollte nicht merken, dass ihr ganzer Körper vibrierte. Nur ein paar Worte, das Glühen in seinen Augen, und schon kam es ihr vor, als würde er sie überall berühren.
Er war schlank und hochgewachsen, hatte ein schmales, gebräuntes Gesicht, das ein wenig jungenhaft wirkte. Sonia war groß für eine Frau, aber dieser schwarzhaarige Fremde überragte sie deutlich.
“Sie … Sie stellen Glas aus?”
“Stimmt. Mir gehört eine kleine Glasmanufaktur, und ich bin hier, um meinen Stand aufzubauen.”
“Ich bin wegen der Messe hier. Ich bin Glaseinkäuferin für eine englische Firma.”
Sein Gesicht hellte sich auf. “Dann müssen Sie mir gestatten, Sie durch meine Manufaktur zu führen.” Er holte eine Visitenkarte heraus. “So etwas bieten wir nur besonders privilegierten Besuchern …”
“Dürfte ich mich vorher vielleicht anziehen?”
“Natürlich. Verzeihen Sie bitte. Außerdem muss ich auch noch einen Raum finden, wo ich mein Glas unterstellen kann.”
“Aber haben Sie es nicht unten am Stand?”
“Einiges davon ja. Aber da etwas davon entweder verkauft oder verschenkt wird oder auch mitunter zerbricht, brauche ich Nachschub in unmittelbarer Nähe.”
“Stellt Ihnen das Hotel keinen Lagerraum zur Verfügung?”
“Doch, das schon, aber ich habe mehr mitgebracht, als ich eigentlich sollte. Ich dachte, dass das kein Problem wäre.”
Später entdeckte sie, das war seine Art. Die Regeln hinbiegen und sich dann erst über die praktischen Hindernisse Gedanken machen. Und normalerweise kam er mit dieser Haltung durch. Sein Charme und seine positive Art ebneten den Weg. Sonia bildete da keine Ausnahme.
“Hören Sie, es macht mir nichts aus – wenn Sie nicht zu viel haben.”
“Es ist nicht viel. Sie werden es gar nicht bemerken.”
Am Ende stapelten sich zehn große Kartons in der kleinen Kammer, und Sonia fand kaum Platz, sich um die eigene Achse zu drehen. Aber sie brachte es nicht übers Herz, ihm zu sagen, er solle sie wieder wegschaffen. Sie hatte sogar geholfen, sie hineinzutragen. Freiwillig! Ohne dass er sie hatte bitten müssen.
“Macht nichts”, meinte sie fröhlich. “Wenn Sie Ihren Stand erst einmal aufgebaut haben, wird nicht viel übrig bleiben.”
“Er ist schon aufgebaut. Das sind nur die Ersatzsachen. Sie haben es jetzt wirklich etwas eng, nicht wahr?”
Ihm schien es nicht das Geringste auszumachen. Sonia runzelte die Stirn.
“Ich werde Sie zum Essen einladen müssen”, sagte er mit einem Seufzer, “bevor Sie eine Klaustrophobie entwickeln.”
“Das wird ein Problem”, entgegnete sie verärgert.
“Warum?”
“Weil meine gesamte Kleidung sich in dem Schrank dort befindet.” Sie deutete auf die Kartons, hinter denen der Schrank kaum auszumachen war.
Es dauerte zehn Minuten, ehe sie sich zur Schranktür durchgearbeitet hatten, und selbst dann ließ er sie nicht in Ruhe ihr Kleid auswählen.
“Nein, das nicht”, erklärte er entschieden, als sie nach einem dunkelblauen Seidenkleid griff, das sie extra für diese Reise gekauft hatte. “Das schlichte weiße.
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