Glueck allein
ziehen.
»Emilia, gehst du schon?«
Erschrocken fuhr ich zusammen. Johannes hatte wieder diesen Blick, eindringlich und intensiv, als habe er gerade gekämpft.
»Was ist mit deinem Vortrag?«, fragte er.
Schnell schaute ich zu Boden.
»Emilia«, sagte Johannes streng, »ich kenne den Alten schon sehr lange und wenn er eines nicht mag, dann sind es Mitarbeiter, die ihre Arbeit nicht ernst nehmen. Du musst da einen anständigen Auftritt hinlegen, ansonsten...«
»Ja, ja, ist ja gut«, unterbrach ich ihn harsch und versprach, gleich morgen anzufangen. Es muss schon lange her sein, dass er verliebt war, dachte ich, als ich ihn und die Uni hinter mir ließ.
Überraschungsmoment
Meine Augen waren so stark mit Lidschatten betont, dass meine Wimpern ohne Tusche vor dem dunklen Hintergrund nicht mehr zu erkennen waren. Ich trug die Wimperntusche auf, linkes Auge, rechtes Auge, dann war mein Werk vollendet. Jede Wimper war nun tiefschwarz und erkämpfte sich vor der kräftigen Lidfarbe ihren Platz. Ich drehte den Kopf ein wenig zur Seite, hob das Kinn etwas an und betrachtete mein Spiegelbild. War ich nun schön? Ich lächelte. Ja, ich war schön.
Außer Atem erreichte ich die Haltestelle. Fünf Minuten Verspätung. Meine Arme fielen herab. Dafür war ich jetzt so gerannt. Ich sah den Kiosk gegenüber und beschloss mir ein Bier zu holen, um innerlich etwas ruhiger zu sein.
Gerade als ich den ersten Schluck getrunken hatte, fiel mir ein, dass es verboten war, offene Getränke mit in die Bahn zu nehmen. Ratlos starrte ich die volle Flasche an. Unangenehm auffallen wollte ich nicht. So kippte ich das Bier in den verbleibenden drei Minuten herunter. Einen Augenblick hatte ich das Gefühl, mich übergeben zu müssen, doch mein Bauch beruhigte sich wieder.
Die Bahn fuhr ein. Sieben Stationen lagen vor mir.
Als ich einstieg, bemerkte ich gleich, wie ich gemustert wurde. Meine Augen waren dunkel betont, meine Lippen rot und meine Haare aufgedreht. Mein Make-up war nicht für das gleißend helle Licht der Bahn, sondern für das Zusammensein in einem Club, in einer Bar oder im Halbdunkel zu Hause gemacht. Als ich mich hinsetzte, spürte ich die Farbe auf meinen Lippen, meine mit Haarspray fixierten Locken und die enge Jeans. Ich fühlte mich nicht mehr schön, sondern nur noch hoffnungslos aufgedonnert.
Noch fünf Stationen.
Der Alkohol begann eine wohlige Wärme in meinen Armen zu verbreiten, ich entspannte mich. Wider Erwarten gefiel mir mein Lippenstift, als ich ihn in der Spiegelung der Scheibe sah. Nun war ich in der Lage, den Leuten in die Augen zu sehen. Sofort wandten sie ihre Blicke ab.
Noch drei Stationen.
Eine stille, freudige Aufregung ergriff mich. Heute fuhr ich zu ihm, ohne dass wir verabredet waren. Ich würde ihn nicht aufhalten, nur ein bisschen mit ihm zusammensitzen. Dann würde ich wieder fahren.
Noch eine Station.
Sein Haus konnte man von der Bahn aus sehen. Es war vollgestopft mit Wohnungen und erinnerte mich wegen der kleinen, vergitterten Fenster jedes Mal an ein Affenhaus. Es war zu beengt für so einen freiheitsliebenden Mann, wie er es war. Vielleicht würden wir uns schon bald etwas Neues suchen.
Aussteigen.
Mit schnellen Schritten ging ich auf das mächtige Haus zu. Aufgeregt klingelte ich. Das Summen der Türe ließ mich zusammenzucken. Wie sehr ich mich freute, ihn nun zu sehen. Schnell hastete ich die Treppen nach oben.
»Was machst du denn hier?«, fragte er mit großen Augen und blieb im Türrahmen stehen.
»Überraschung«, sagte ich und streckte mich, um ihn zu küssen, doch mein Kuss landete nur auf seiner unrasierten Wange.
»Warum hast du nicht angerufen?«, fragte er.
»Dann wäre es doch keine Überraschung gewesen«, flötete ich lächelnd, obwohl es mir um die Überraschung überhaupt nicht gegangen war.
Julian zögerte, was mich tief verwirrte.
»Lässt du mich nicht rein?«, fragte ich leise.
Mit langem Arm öffnete er die Tür. Zögerlich betrat ich seine Wohnung. Alles war aufgeräumt und sauber, kein einziges Stück Wäsche lag herum, kein einziges Staubkorn war zu sehen, sogar das Bett schien frisch bezogen, nur der Aschenbecher auf dem Tisch verriet, dass hier jemand wohnte.
Julian lehnte mit verschränkten Armen neben der Wohnzimmertür, als ob er auf etwas wartete. Ich schaute mich um, aber die Gedanken dröhnten in meinem Kopf und allen voran die Frage, was mit ihm los war, was plötzlich anders war, als in den letzten Tagen. Hilflos schaute ich
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