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Glueck allein

Glueck allein

Titel: Glueck allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sylvia Halcour
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werden.
    Johannes sah mich beruhigend an. »Fang zügig an. Und sprich nicht zu schnell, sonst versteht der Alte dich nicht. Und nach dreißig Minuten ist alles vorbei. Wann geht es los?«
    »Um halb zehn.«
    »Dann warte ich hier um zehn.«
     

Der Vortrag
     
    »In Zeiten, als die Gerichte bei einer Scheidung noch feststellen mussten, wer schuld am Scheitern der Ehe war«, leitete ich meinen Vortrag ein, »verzichteten die Frauen auf finanzielle Leistungen nach der Ehe, damit ihr Mann im Gegenzug die Schuld an der Scheidung übernahm. Nur so konnten die Frauen ihre Ehre in der Gesellschaft bewahren.«
    Brandis sah mich mit schmalen Augen an und klopfte mit seinen Fingern auf das Holz. Unwillkürlich machte ich eine Pause und spürte mein hämmerndes Herz.
    Die ersten Sätze sind dein Absprung, hatte Johannes gesagt und ich wollte weiter sprechen, vergaß jedoch meinen letzten Satz und den Satz, den ich sagen wollte, vergaß was ich heute vortragen wollte und was das Thema meiner Arbeit war.
    »Sind Sie schon fertig?«, fragte Herr Brandis und lächelte giftig.
    »Einen Moment bitte«, flüsterte ich und starrte meine Notizen an, die plötzlich zusammenhanglos, wirr, chaotisch, über meine Papiere sprangen. Ich atmete ein und atmete aus. Johannes Uhr zeigte kurz nach halb zehn. In weniger als einer halben Stunde war dies hier vorbei. In weniger als einer halben Stunde sollte ich keine Angst mehr vor diesem Tag haben. Vielleicht würden nur andere dunkle Gedanken bleiben, weil ich in meinem Vortrag vor dem Alten um kurz nach halb zehn aufgehört hatte zu sprechen.
    Den Alten ergriff ein heftiger Hustenanfall. »Es sind die Zigarren«, erklärte er heiser, nachdem sich seine aufgewühlten Bronchien wieder beruhigt hatten.
    »Rauchen Sie?«, fragte er mich.
    »Nein«, sagte ich, bis ich mich an die Nacht mit Julian erinnerte. »Nur in Ausnahmefällen.«
    »Von denen es leider zu viele gibt«, sagte er lachend und verfiel wieder in einen Hustenanfall.
    Brandis rieb sich ununterbrochen die Glatze. Mir fiel auf, dass er trotz seiner vierzig Jahre keinen Ring an seinen rötlichen Fingern trug. Nicht, dass es mich gewundert hätte. Ein Ring hätte mich gewundert, aber sein Fehlen wahrlich nicht.
    Als ich wieder auf meinen Notizzettel blickte, begannen sich die Stichpunkte allmählich zu ordnen.
    »Eheverträge, die eigentlich einen gerechten Ausgleich schaffen sollten«, nahm ich das Wort wieder auf, »wurden zu Nestern der Ausbeutung.«
    Der Alte hörte mir aufmerksam zu. Ein wenig ruhiger fuhr ich fort: »Herr Brandis wies mich auf einen Aufsatz von Marianne Rothenbach hin, die hierzu etwas geschrieben hat.«
    »Frau Rothenbach hat grundsätzlich zu allem etwas geschrieben«, bemerkte der Alte und ich sah, wie Brandis Auge zuckte.
    Erleichtert fuhr ich fort. Jeder Satz, den ich sprach, befreite mich mehr von diesem Gefühl, gleich an meinen eigenen Worten ersticken zu müssen. Meine Erklärungen wurden ausführlicher und ich brachte mehr Details. Der Alte hatte seinen Füller am Mund und ab und zu machte er sich eine kurze Notiz. Manchmal fielen mir Johannes Formulierungen wieder ein, die ich dann wiedergab, wobei ich ihn stets mit seiner konzentrierten Art vor mir sitzen sah. Erst nach einer Dreiviertelstunde hatte ich alles gesagt.
    »Das war sehr interessant, Frau Wagner«, urteilte der Alte. »Hier und da sollten sie ihre Ausführungen noch vertiefen, außerdem sollten sie sich auf das deutsche Recht beschränken.«
    Zitternd notierte ich seine Anmerkungen, die er mir mit seinen Künstlerhänden dirigierte, als stünde er vor einem Symphonieorchester.
    Johannes wartete vor der Tür, als ich mich dankbar und weich aus dem Büro des Alten schob. Er gab mir ein Zeichen, ihm zu folgen und wir gingen leise in die Bibliothek.
    »Es hat lange gedauert«, sagte er ungeduldig, als er die Türe hinter sich geschlossen hatte. »Was hat er gesagt?«
    »Er war zufrieden. Einige Sachen hat er ergänzt.«
    »Hast du sie notiert?«
    »Klar.« Ich zeigte ihm meinen Zettel.
    »Was ist das denn?« Mit spitzen Fingern hielt er meine vom Schweiß gewellten Notizen wie einen schmutzigen Putzlappen von sich weg. Schnell nahm ich ihm das Papier aus der Hand.
    »Wenn er viel anmerkt, ist es ein gutes Zeichen«, sagte Johannes. »Anscheinend hast du es gut gemacht.«
    »Danke für alles«, sagte ich mit bebenden Lippen.
    »Jederzeit wieder«, sagte er und zwinkerte zum Abschied, als wollte er mit mir

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