Glueck allein
Lie-be?«, hatte mich Pierre am Morgen in der Bibliothek gefragt.
Ich überlegte, inwieweit man einen Menschen lieben konnte, den man kaum kannte. Meine körperlichen Symptome sprachen dafür, aber die wollte ich Pierre nicht schildern, zumal Johannes, wenn auch sehr schweigsam, bei uns saß.
»Kann Liebe zweifellos sein?«, fragte ich zurück, aber keiner von beiden antwortete mir.
»Vermisst du Ju-li-an?«, fragte Pierre. »Steht dein Leben still ohne ihn?«
»Noch kann ich arbeiten«, sagte ich, aber erhaschte zugleich Johannes skeptischen Blick, als ahnte er, dass ich nicht gearbeitet hatte.
»Du vermisst ihn?«, säuselte Pierre. »Du verzehrst dich jede Sekunde nach seiner Nähe? Dir bleibt das Herz stehen, wenn du nur an ihn denkst?«
»Ich bin gerne mit ihm zusammen«, erwiderte ich zögerlich.
»Sie liebt ihn«, rief Pierre und riss dabei die Arme in die Höhe.
Johannes Stimme war auffallend leise. »Daran bemisst du das jetzt?«
Pierre erwiderte: »Schau sie doch an« und Johannes war wieder still geworden.
Ja, ich will
Ob ich Julian liebte oder ob ich zumindest, wie mancher feinsinnig unterschied, in ihn verliebt war, hatte ich, als Pierre mich fragte, nicht eindeutig zu beantworten vermocht. Ich wusste es erst an dem Tag, als Julian das erste Mal in meiner Wohnung war. Bad, Küche, Wohnzimmer waren aufgeräumt und wohl seit Monaten nicht mehr so sauber geputzt. Nur kurzzeitig erschien Julian mir zu groß für mein Zimmer und seine Augen zu schwarz, zu dunkel für das helle Licht in den Räumen. Aber als wir auf dem Bett lagen und ich seine Hände an meinen Hüften spürte und nur noch innerlich bat und flehte, dass er sie wenige Zentimeter nach innen verrückte, vergaß ich die Zweifel, die ich einstweilen bekam.
An diesem Nachmittag sahen wir einen Film, da ich ihn zu nichts, auch nicht zu einem Gespräch, drängen wollte. Hinter mir liegend begann er meinen Nacken zu küssen, so dass Handlung und Figuren verschwammen, bis ich sie vollends vergaß. Er zog mich aus, ohne seinen Blick von meinen Augen abzuwenden.
Als er sich über mich legte, seine Arme mich umschlossen, seine schwarzen Haare auf meine Schläfen fielen und ich seinen Körper stark und schwer auf meinem fühlte, als wir eins wurden, uns gemeinsam bewegten und ineinander verloren, betete ich, dass er für immer bliebe, denn es gab für mich nichts mehr, was noch von Bedeutung war.
Nachdem es vorbei war, lagen wir ganz ruhig. Sein Arm fiel über meine Brust und ich befühlte den Film von Schweiß auf seiner Haut und folgte den Adern bis zu seinen Händen. Es war der Moment, in dem sich mein Herz, mein Unbewusstes für ihn entschied. Wofür nur einen Schritt machen, nur ein Wort sagen, wenn er mir nicht zumindest die Hoffnung gab, ihn zu sehen?
Die ganzen Wochen hatte ich auf solche Gefühle gewartet, aber nun, da sie gekommen waren, war ich nur noch ängstlich sie zu verlieren, als könnten sie mir bei einem falschen Satz, einer falschen Bewegung entgleiten. Gerne hätte ich dies Julian gesagt, aber er konnte schweigen und mit jedem Tag unseres Zusammenseins lernte ich mehr, es ihm nachzutun.
Fluchtgedanken
Die Sonne schien durch die Äste des Baumes. Dann und wann ließ ein Windzug seine Blätter flimmern. Mein Kopf lag auf meinen Armen, das Holz des Schreibtischs kühlte meine Haut. Erinnerungen an sein Gesicht, an seine Stimme, trieben meinen Herzschlag hoch. Meine Hände zeichneten die Wege seiner Berührungen nach. Auf meinen Lippen, meiner Wange, meinem Hals. Ich zog mich an den Tisch heran und versuchte mich zu konzentrieren, aber wieder erfasste mich dieses Glühen, schwingend und vibrierend, wie eine gezupfte Gitarrensaite, die jeden Gedanken an Eheverträge unmöglich machte.
Wie soll ich nur eine Zeile zu Papier bringen, wenn ich solche Nächte erlebe? Wie soll ich trockene, nüchterne Texte lesen, das Für und Wider eines Gesetzes erkennen, wenn mir jedes Wort, jeder Satz, der sich nicht mit dem von mir Erlebten beschäftigt, wertlos erscheint?
»Hast du wieder von mir geträumt?«, hatte Julian am Morgen gefragt. Ich hatte genickt und nichts weiter gesagt, denn in meinem Traum hatte ich ihn mit einem anderen Mann betrogen und danach die ganze Nacht gesucht.
Licht und Schatten wechselten auf meinem Gesicht. Der Baum wiegte seine Äste im Wind. Ein Blatt löste sich und glitt auf den Asphalt. Ein Tupfer Grün im ganzen Grau.
Leise versuchte ich die Türe meines Büros ins Schloss zu
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