Gluecklich, wer vergisst
Handgreiflichkeiten aus. Heinz war überzeugt, dass der Roither-Bauer seinen Vater auf dem Gewissen hatte, warf ihm zumindest unterlassene Hilfeleistung vor. Als der alte Fischer-Hans vor etwa einem Jahr mitten am See einen Schlaganfall erlitten hatte, war der Roither-Bauer mit seinem Boot in der Nähe gewesen. Er hatte den Alten einfach verrecken lassen, anstatt ihm zu helfen oder wenigstens die Rettung zu rufen, behauptete er.“
„So war das nicht“, warf Mario zögernd ein.
„Wieso weißt du das? Warst du dabei?“, herrschte ihn Walpurga an.
„Sei nicht so streng mit unserem Jungen“, ermahnte mein Vater sie. Mir entkam ein unpassendes Lächeln.
„Ich konnte den Roither-Bauern auch nicht leiden. Aber ich erinnere mich, wie fertig er war, als er den alten Hans tot in seinem Ruderboot aufgefunden hatte. Er kam damals in meine Bar gestürzt und schrie, dass wir sofort einen Arzt holen sollten“, sagte Mario.
Jan fuhr unbeirrt fort: „Die beiden waren allein unten am See. Die Sommerhäuser in der Nähe sind alle bereits winterdicht gemacht. Geräusche einer Motorsäge sind um diese Jahreszeit keine Seltenheit. Wahrscheinlich dachten die Leute, die den Lärm hörten, dass jemand einen Baum fällte. Keiner kam auf die Idee, dass Heinz gerade das Gehirn des Roither-Bauern auf die Wände des Bootshauses verspritzte …“
„Ich bitte dich, Jan! Musst du dich so drastisch ausdrücken?“, sagte ich vorwurfsvoll. Nicht nur Albert, auch Walpurga war bei Jans letzten Sätzen erblasst.
„Hältst du Raubfischerei oder Erpressung für ein hinlängliches Motiv, einen Menschen zu töten?“, fragte ich meinen Liebsten sarkastisch. Ich musste an mein Gespräch mit Albert denken.
„Natürlich nicht. Hör mir zu, ich bin noch nicht fertig.“
„Ich habe den Heinz gekannt“, unterbrach ich ihn erneut. „Er fühlte sich schon als ganz junger Mann als Außenseiter.“ Obwohl mir bewusst war, dass ich Alberts Erklärungen für Heinzis grauenhafte Tat übernahm, fuhr ich fort: „Seinen Mangel an Mut verbarg er hinter Prahlerei. Er war ein ängstlicher Aufschneider, könnte man sagen. Vielleicht bedeutet es für diejenigen, die als Kinder große Angst haben, eine Art Befreiung, wenn sie als Erwachsene gewalttätig werden? Eine Gesellschaft, in der sich immer mehr Menschen überflüssig oder unerwünscht vorkommen, muss damit rechnen, dass sich die Frustration dieser eingeschüchterten Individuen eines Tages in Aggression verwandelt. Das Gefühl, nicht geliebt zu werden, führt bei solchen Menschen zu einer totalen Verhärtung, zu einer Verrohung.“
„Einsamkeit und zu wenig Liebe sind Eltern der Gewalt, da stimme ich dir zu. Aber warum hat er die Leiche zerstückelt? Die Verstümmelung, das Zerteilen der Leiche, das ist abartig, krank, pervers …“
„Oder um Zeit zu gewinnen? Albert und ich haben, genauso wie die Polizei, zuerst angenommen, dass es sich um Heinzis Leiche handelt. Und genau das wollte er bezwecken.“
„Warum ist er nicht abgehauen, sondern hat sich im Schloss versteckt?“
„Weil ihm klar geworden ist, dass er nirgendwo akzeptiert werden würde, nirgendwohin konnte. In seiner Verzweiflung hat er sich zu dem einzigen Menschen geflüchtet, dem er vertrauen konnte. Von Albert fühlte er sich zumindest ein bisschen gemocht. Das ist doch ganz logisch.“
„Nicht für mich.“ Jan schüttelte den Kopf. „Ich habe noch eine andere Erklärung, die dich eher überzeugen wird. Heinz hielt den Roither-Bauern für seinen leiblichen Vater. Der alte Fischer-Heinz hat die um vieles jüngere Gerlinde geheiratet, als sie hochschwanger war. Gerlinde hatte damals aber ein Verhältnis mit dem Roither-Bauern …“
„Ja, dieses Gerücht habe ich auch gehört“, warf Walpurga ein. Plötzlich war sie wieder ganz munter. „Der Heinzi und der Roither-Bauer sind beide fast glatzköpfig. Außerdem hatte der Heinz auch bereits weißes Haar, während der Fischer-Hans bis ins hohe Alter eine dichte braune Mähne hatte.“
Walpurga, und nicht nur sie, sondern auch Mario und Dr. Braunsperger, wirkten seit der Festnahme vom Fischer-Heinz erleichtert. Albert war nach wie vor nicht ansprechbar.
Walpurga stand auf und sagte: „Ich werde eine zweite Kanne Tee aufbrühen.“
Während ihrer Abwesenheit verebbte die Diskussion. Heinz wäre nicht der erste Vatermörder, dachte ich und hing ebenso meinen eigenen Gedanken nach wie Jan und die anderen.
Mario meldete sich nun zu Wort: „Ich versteh nicht, wie er den
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