Glücksklee
Familie wohl zu fühlen.
Normalerweise beschenkten sie sich nicht so üppig, aber die anstrengenden Monate, die Emer hinter sich hatte, und die Tatsache, dass sie morgen fünfunddreißig wurde, waren für Jess Grund genug, ihre Freundin mit etwas ganz Besonderem zu überraschen.
«Ich kann mich einfach nicht entscheiden», sagte sie zu der Verkäuferin bei Brown Thomas. Doch die Frau verwirrte sie nur noch mehr, indem sie eine verführerische, petrolblaue Lackledertasche von Alexander McQueen vorschlug.
Jess widerstand dem Drang, auf einer Strähne ihres honigblonden Haares herumzukauen – eine grässliche Angewohnheit aus der Kindheit –, und überlegte, ob Lackleder wohl das Richtige für eine junge Mutter war. Es wäre vielleicht sogar ganz praktisch wegen der Flecken, oder? Andererseits konnte sie sich nicht vorstellen, dass Emer mit einer leuchtend blauen, futuristischen McQueen durch Lakeview spazierte.
Lakeview war eine typisch irische Kleinstadt, eine knappe Autostunde von Dublin entfernt. An der Main Street lagen Pubs und Geschäfte, deren Inhaber alle aus dem Ort stammten, sowie ein traumhaftes Café. Dann kamen hübsche ältere Häuser und weiter außerhalb neue, größere Gebäude. Alle gingen auf den großen See hinaus, von dem der Ort seinen Namen hatte.
Emer und ihr Mann Dave waren auf Empfehlung ihrer gemeinsamen Freunde Deirdre und Kevin nach Lakeview gezogen. Die beiden hatten sich bereits dort niedergelassen. Zum einen waren die Häuser in der kleinen Stadt größer und viel billiger als alles, was in Dublin angeboten wurde. Und zum anderen war die Umgebung perfekt, um Kinder aufzuziehen. Jess besuchte ihre Freunde liebend gern in Lakeview. Gelegentlich hegte sie sogar die Hoffnung, dass sie und ihr Mann Brian eines Tages den anderen Paaren folgen würden. Doch Brian war ein eingefleischter Dubliner, und sie wusste, dass er das Stadtleben vermissen würde. Und ihr selbst würde es wahrscheinlich auch fehlen, das musste sie zugeben. Es war schön, für ein paar Stunden in einem verschlafenen Nest wie Lakeview zu Besuch zu sein und die entspannte Atmosphäre zu genießen, aber nach einer Weile konnte dieses gemächliche Tempo sicher ganz schön nerven.
Schließlich entschied Jess sich für die lavendelblaue Prada – zum Teufel mit den praktischen Gründen. Sie verließ den Laden und spazierte in der späten Maisonne zum St-Stephen’s-Green-Einkaufszentrum, wo sie ihren Wagen geparkt hatte. Ausnahmsweise kam ihre Ray-Ban-Sonnenbrille mal richtig zum Einsatz. An sonnigen Tagen war die Grafton Street mit Straßenkünstlern und Einkaufsbummlern bevölkert.
Fröhlich schlenkerte Jess die gestreifte Tragetasche von Brown Thomas und konnte der Versuchung nicht widerstehen, noch schnell in einen Geschenkeladen zu springen und einen niedlichen Teddy für die kleine Amy zu kaufen. Ihre Nichte hatte doch auch etwas Besonderes verdient, oder nicht? Genau genommen war Amy zwar nicht ihre Nichte, aber als Einzelkind würde Jess nie Tante werden, und Amy kam einer Nichte am nächsten.
Außerdem war Emer für sie wie eine Schwester. Jess hatte das Gefühl, dass sie sich schon ewig kannten, auch wenn es in Wirklichkeit erst etwa siebzehn Jahre waren. Am ersten Tag ihres Studiums hatten sie sich im Dublin Institute of Technology kennengelernt. Beide machten einen Abschluss in Marketing und arbeiteten dann bei dem gleichen Getränkegroßhandel in Dublin. Doch während Emer ihre Stelle inzwischen aufgegeben hatte und mit ihrer Familie nach Lakeview gezogen war, arbeitete Jess immer noch in der gleichen Firma. Theoretisch jedenfalls, denn das kleine irische Unternehmen war von der großen internationalen Marke Piccolo übernommen worden und hatte ein neues Image erhalten. Kürzlich hatte man Jess zur Marketing-Leiterin für Irland befördert, und nun war es ihre Aufgabe, dafür zu sorgen, dass sich die wichtigsten Marken des Unternehmens weiter durchsetzten. Zufrieden stellte sie fest, dass an den meisten Tischen draußen Piccolos derzeitige Spitzenmarke getrunken wurde.
Ach, wenn sich Brian doch auch so leicht überzeugen ließe!, dachte Jess. Ihren Mann konnte sie nämlich nicht so einfach überreden, von Guinness auf Porters umzusteigen – Piccolos Konkurrenzprodukt zum Guinness. In sieben Jahren Ehe hatte sie ihn nicht von seinem Lieblingsgetränk abbringen können. Seine Sturheit belustigte ihre Freunde immer wieder und frustrierte sie selbst in gleichem Maße. Aber weil dieser Charakterzug so
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