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Glut und Asche

Glut und Asche

Titel: Glut und Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Handgemenge ausartete, während die Menschen verzweifelt darum kämpften, auch nur einen einzigen Schritt von der Stelle zu kommen.
    Unglückseligerweise war auf der anderen Seite der Brücke nichts anders. Die Menge, die sich den Flüchtenden von dort entgegen bewegte, war kaum weniger groß und ganz bestimmt nicht weniger entschlossen. Niemand würde diese Brücke überqueren, begriff er Ganz im Gegenteil. Die Flammen hatten das diesse i tige Ende der Brücke schon fast erreicht, und sobald sie tatsäc h lich hier waren, musste dieses albtraumhafte Gebilde zur T o desfalle für jede einzelne Seele werden, die sich darauf befand.
    »Auf diesem Weg kommen wir jedenfalls nicht hinüber«, murrte Abu Dun. »Wir hätten doch schwimmen sollen ... oder ein Boot nehmen.«
    »Es war deine Idee«, erinnerte Meruhe ihn. Sie stand neben ihm am Fenster eines der schmalen Gebäude, die den östlichen A n fang dieser absurden Brückenstraße markierten, und blickte auf das Chaos zwei Stockwerke unter ihnen hinab. Der hölzerne Boden unter ihren Füßen zitterte, als hätte nach der Urgewalt des Feuers nun auch die Erde selbst beschlossen, die Menschen in ihre Schranken zu weisen und ihnen ein Beben zu schicken. Andrej wusste jedoch ebenso gut wie Abu Dun und sie, dass es nur die panische Menschenmenge unter ihnen war, die dieses vermeintliche Beben auslöste. Er fragte sich, ob es nicht vie l leicht eher die Legion trampelnder Füße unter ihnen war, die dieses arrogante Bauwerk zum Einsturz bringen würde.
    »Ich wusste ja nicht, dass das gesamte britische Empire hier zusammenkommt«, maulte der Nubier. »Suchen wir uns ein Boot. Selbst wenn diese Ruine nicht zusammenbricht, brauchen wir eine Woche, um das andere Ufer zu erreichen.«
    Eine ziemlich optimistische Schätzung, fand Andrej. Er nickte Abu Dun zwar knapp zu, was dieser als Zustimmung auslegen konnte, wenn ihm denn danach war, tauschte aber z u gleich auch einen verstohlen fragenden Blick mit Meruhe, auf den sie mit einem wortlosen Nicken reagierte. Erstaunliche r weise entging Abu Dun dieses kurze Zwiegespräch, obwohl er ein sehr guter Beobachter war. Vielleicht hatte er sie auch gar nicht fragend angesehen und sie nicht genickt. Da war mit e i nem Mal eine Vertrautheit zwischen ihnen, die weit über alles hinau s ging, was er jemals erlebt hatte, und Worte - vielleicht sogar Blicke - überflüssig machte.
    »Sie warten dort drüben«, sagte Meruhe ruhig.
    »Weil sie wissen, dass wir kommen?«, erkundigte sich Abu Dun misstrauisch. »Kannst du sie ... spüren?«
    »Nein«, antwortete Meruhe. »Nicht unter all diesen Me n schen mit ihrer Furcht. Aber ich kenne Loki. Es kann nur dieser Ort sein.«
    »Wieso?«
    Abu Duns Misstrauen war regelrecht zu riechen, dachte A n drej. Dann verbesserte er sich in Gedanken. Nicht regelrecht. Er konnte es riechen, wie ein unterschwelliges, schlec h tes Aroma, das in der Luft lag und alles verdarb, ohne dass man es wirklich greifen konnte.
    Die Erkenntnis ließ ihm einen eisigen Schauer über den R ü cken laufen. Seine Sinne waren schärfer geworden, so unen d lich viel schärfer, dass er ihre wahre Macht noch nicht einmal ansat z weise begriffen hatte. Und Meruhe behauptete, er wäre nur beinahe einer von ihnen? Was würde aus ihm werden, wenn die Verwandlung abgeschlossen war? Ein Gott?
    »Weil hier das Sterben beginnen wird, schwarzer Mann«, sagte Meruhe leise. »Das wirkliche Sterben. Hunderte werden zu Tode kommen, wenn nicht Tausende. Das sind reiche We i degründe. Sie werden dieser Verlockung nicht widerstehen.«
    Und warum sollten sie auch?, dachte Andrej. Auch er spürte mit schon fast schmerzhafter Intensität, wovon sie sprach. Unter all diesen Menschen dort unten war nicht einer, der keine Angst hatte, der keine Schmerzen litt oder den Verlust eines geliebten Menschen oder all seiner Habe beklagte. Was er auf der u m kämpften Straße spürte, das waren Zorn und Hass und Furcht und vor allem Leid. Und dieses Leid war süß, ein Ozean von Stärke, der nur darauf wartete, dass er die Hand ausstreckte und sich an ihm labte.
    »Na dann kann uns ja gar nichts passieren«, spöttelte Abu Dun. »Deine Freunde werden genauso wenig über diese Brücke kommen wie wir. Oder können sie rein zufällig auch noch fli e gen?«
    Er lachte, und Meruhe blieb ihm die Antwort auf seine Frage gerade lange genug schuldig, um sein Grinsen entgleisen und eine Spur von Unsicherheit in seinem Blick erscheinen zu la s sen. »Nein«, sagte sie

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