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Glut und Asche

Glut und Asche

Titel: Glut und Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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den vergitterten Fenstern des Querganges war das flackernde Licht von Fackeln zu erkennen, vielleicht auch Schatten. »Er ist dort oben. Und vier oder fünf der anderen auch.«
    »Marduk?«, fragte Abu Dun.
    Sie lauschte erneut, bevor sie den Kopf schüttelte. »Nein. Aber er ist ganz in der Nähe. Ich ...« Sie brach mitten im Wort ab, biss sich auf die Unterlippe und starrte ins Leere, dann wandte sie sich mit einer kurzen, befehlenden Geste an ihre Dienerin. Die kahlköpfige Schönheit nickte mit unbewegtem Gesicht, und Meruhe ließ sich ein kurzes Stück weit das Dach hinabgleiten und richtete sich dann auf die Knie auf. »Wartet, bis sie euch Bescheid gibt«, sagte sie. »Dann folgt ihr. Sie wird euch zu ihm führen.«
    »Und du?«, fragte Abu Dun.
    »Ich habe Marduk eine Nachricht geschickt, und ich glaube, er ist darauf hereingefallen. Ich werde ihn eine Weile ablenken, aber ihr solltet euch trotzdem beeilen. Er ist nicht unbedingt der Klügste, aber auch nicht so dumm, wie ich es mir im Moment wünschen würde.«
    »Marduk und nicht der Klügste?«, fragte Abu Dun. »Wurde er nicht in irgendeiner Religion als Gott verehrt?«
    »In der allerersten überhaupt«, bestätigte sie. »Und er war der Oberste aller Götter.«
    »Sie haben einen Dummkopf angebetet?«
    »Was gewisse Rückschlüsse auf die zulässt, die ihn angeb e tet haben, nicht wahr?«, fragte Meruhe amüsiert. Das Lächeln ve r schwand jedoch fast sofort wieder von ihren Zügen. Als sie aufstand, wirkte sie nicht nur wieder vollkommen ernst, so n dern fast besorgt.
    »Und du bist sicher, dass du allein gehen willst?«, fragte Andrej.
    »Nein«, antwortete Meruhe, versuchte zu lächeln, um ihrer Antwort vielleicht etwas von ihrer Schärfe zu nehmen, und scheiterte kläglich.
    »Dann nimm wenigstens sie mit.« Andrej deutete auf die Kriegerin, doch Meruhe machte nur eine ablehnende Geste. »Das würde es allerhöchstens schlimmer machen«, sagte sie, setzte dazu an, sich umzudrehen, machte dann aber kehrt, um noch einmal zu ihm zurückzukommen. Andrej war so übe r rascht, dass er ihre Berührung nicht einmal erwiderte, als sie sich zu ihm herunterbeugte und ihn zum Abschied küsste. Im nächsten Augenblick war sie verschwunden, als wäre sie ei n fach ein Teil der Dunkelheit geworden.
    »Holla!«, sagte Abu Dun. »Ich glaube beinahe, ich muss mich bei dir entschuldigen. Sie scheint es ja wirklich ernst zu meinen.«
    »Ja, und ich auch«, murmelte Andrej, immer noch ein bis s chen perplex. »Mir ist nicht wohl dabei, dass sie allein geht.«
    »Was soll ihr schon passieren?«, fragte Abu Dun leichthin. »Marduk kann ihr so wenig etwas tun wie sie ihm.«
    »Ja«, sagte Andrej. »Wenn er allein ist.«
    Abu Dun sah ihn beinahe verdutzt an, zuckte aber dann nur die Schultern und holte Luft zu einer Antwort, die Andrej ve r mutlich noch viel weniger gefallen würde als alles, was er bi s her gesagt hatte. Aber er kam nicht dazu, denn die nubische Kriegerin berührte ihn plötzlich am Arm und deutete mit der and e ren Hand hinter sich.
    Im ersten Moment schien Andrej alles wie vorher, als sein Blick ihrer Geste folgte. Der Fluss lag wie eine schwarze Schlucht unter ihnen, in der Tausende von roten und gelben Funken glühten, einige so klein, dass sie mit bloßem Auge kaum noch zu erkennen waren, andere größer und einer davon ganz besonders groß, wie eine brennende Insel, die sich von ihrem angestammten Platz gelöst hatte.
    Nur dass es keine Insel war und auch kein losgerissenes Trümmerstück, sondern ein Schiff mit drei Masten, deren Spi t zen noch über die Dächer der höchsten Gebäude hier auf der Brücke hinausragten.
    »Was beim Scheijtan ...?«, entfuhr es Abu Dun, der das Schiff im gleichen Moment entdeckt hatte wie er.
    »Wie ist das möglich? Wie kommt dieses Schiff hierher?«
    Andrej interessierte sehr weit mehr die Frage, wohin es sich bewegte. Es musste derselbe Dreimaster sein, den sie früher in dieser Nacht schon einmal gesehen hatten. Er hatte sich a n scheinend vom Ufer losgerissen -vielleicht hatte seine Besa t zung auch aus Panik und dem Mut der Verzweiflung beschlo s sen, die dem Untergang geweihte Stadt auf diesem Wege zu verlassen -, schien jedoch nicht gelenkt zu werden, denn sein Heck drehte sich schwerfällig in der Strömung. Seine scharfen Augen verrieten ihm selbst noch über die große Entfernung hinweg, dass der Platz hinter dem Ruder leer war. Die wenigen Menschen, die er überhaupt an Deck des führerlosen Schiffes

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