Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition)
alle Nachrichten gelesen hatte.
»Solche Aufträge nehme ich nicht an«, sagte Jones.
»Was für Aufträge?«
»Du weißt schon, Ehebrecherinnen verfolgen, Schwiegersöhne überprüfen, Sozialbetrüger enttarnen. So tief werde ich nicht sinken.«
Maggie berührte seine Wange und küsste ihn auf die Stirn.
»Tu, was immer du willst.«
Während Jones mit der Zeitung in der Hand vor dem Haus stand, musste er an ihren Satz denken. Was wollte er eigentlich? Er wusste es nicht genau. Oder besser gesagt konnte er es nicht in Worte fassen. Er würde es wissen, sobald es ihm begegnete.
Einige Stunden später saß er in Dr. Dahls Sprechzimmer und schilderte die Ereignisse der vergangenen Woche.
»Dann wissen wir wohl jetzt, wie es weitergeht«, sagte der Therapeut. »Wollen Sie Ihre Energien in eine Privatdetektei investieren?«
Jones meinte, einen Unterton herauszuhören. Klang der Doktor enttäuscht?
»Ist das etwa nicht in Ordnung?«, fragte er.
»Doch«, sagte Dr. Dahl, »selbstverständlich. Ich habe mich nur gefragt, ob Sie sich nicht anderweitig umschauen wollten. Sie haben noch nichts entschieden. Wir hatten übers Tischlern gesprochen.«
Aus einem unerfindlichen Grund konnte Jones sich nicht vorstellen, vom Bücherregalbau zu leben. Es war ja nicht so, dass er sich gestalterisch austoben wollte oder Lust dazu hatte. Er war einfach nur handwerklich begabt, arbeitete gern mit den Händen. Aber das faszinierte ihn nicht, nicht so, wie sein Job bei der Polizei ihn fasziniert hatte. Das sagte er dem Doktor auch.
»Tja, dann«, sagte Dr. Dahl. Er strich sich die faltenfreie Hose glatt und lächelte Jones freundlich an. »Es ist wichtig, für eine Tätigkeit Leidenschaft zu empfinden. Ich frage mich nur, ob es die dunkle Seite der Arbeit ist, die Sie so anzieht, Jones.«
Jones wusste darauf nichts zu entgegnen. Er fühlte sich angegriffen, spürte Wut in sich aufsteigen.
»Die Arbeit ist schmutzig«, fuhr der Therapeut fort, »und nicht ungefährlich. Sie haben selbst gesagt, dass Sie genauso gut tot sein könnten.«
»Bin ich aber nicht«, sagte Jones. »Ich habe das Mädchen gerettet. Wenn ich ihren Fuß nicht befreit hätte, wäre sie ertrunken. Das bedeutet mir viel.«
»Ja«, sagte der Doktor, »natürlich.«
Seitdem er fast ertrunken war, hatte Jones keine Albträume mehr. Er war kein einziges Mal mehr verschwitzt, schreiend und japsend aufgewacht. Maggie schlief wieder im Ehebett und hielt es die ganze Nacht dort aus. Er konnte nicht behaupten, dass er seine Todesangst besiegt hatte, vielmehr war sie ein Schatten, der über ihm hing. Sie schlich sich hinterrücks an, wenn er am wenigsten damit rechnete, und manchmal fragte er sich, wie sein Ende aussehen würde. Ein Ausrutscher in der Dusche? Ein Autounfall? Vielleicht würde ein Psychopath wie Kevin Carr ihn umbringen. Und danach wäre alles vorbei. Mit dieser Möglichkeit mussten alle Menschen leben, nicht wahr?
Vielleicht würde er irgendwann wieder schlecht träumen. Vielleicht aber auch nicht, jetzt, da er wusste, was er mit seinem Leben anfangen wollte. Er war dafür gemacht, anderen zu helfen, und diese Hilfe ging weit darüber hinaus, Blumen zu gießen oder den Briefkasten zu leeren. Das war ihm plötzlich klar. Und diese Klarheit brachte ihn auf den Gedanken, dass es im Leben vielleicht doch etwas gab, das größer war als er.
»Während unserer letzten Sitzung haben wir über Ihren Vater gesprochen«, sagte Dr. Dahl. Offenbar war er auf der Suche nach einer Wunde, in die er Salz streuen konnte. Kam ihm Jones zu glücklich vor? Vielleicht fürchtete der Doktor, demnächst arbeitslos zu sein. »Haben Sie sich darüber Gedanken gemacht?«
»Ja«, antwortete Jones, »ein bisschen.«
Er hatte tatsächlich darüber nachgedacht, war aber noch nicht bereit, mit irgendwem darüber zu sprechen, nicht mit dem Doktor, noch nicht einmal mit Mags.
»Möchten Sie darüber reden?«
Jones warf einen Blick auf die Uhr.
»Ich glaube, unsere Zeit ist um, Doc«, sagte er. Die Zeit war wirklich um, in jeder Hinsicht.
»Oh, ja, stimmt«, sagte der Therapeut, »bis nächste Woche dann.«
»Auf jeden Fall.«
Am Empfang bezahlte Jones die Rechnung. Während er auf die Quittung wartete, beobachtete er einen Mann seines Alters, der das Sprechzimmer betrat. Er fragte sich, was für ein Problem dieser Mann haben mochte; er sah deprimiert aus.
Jones hatte seiner Frau versprochen, Dr. Dahl regelmäßig aufzusuchen, und genau das würde er auch tun. Er wusste,
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