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Gnadenfrist

Titel: Gnadenfrist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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Hinrichtung vor zwei Jahren ist die Zahl der Morde in den größeren Städten überall im Land auffallend zurückgegangen.«
    Sharon beugte sich vor. »Das klingt unglaublich vernünftig aus Ihrem Munde«, rief sie.
    »Aber begreifen Sie denn nicht, daß fünfundvierzig Prozent der Morde von Leuten begangen werden, die jünger sind als fünfundzwanzig, die zum Teil aus trostlosen Familienverhältnissen kommen und eine labile Vergangenheit haben?«
    Der einsame Zuschauer im Biltmore in Zimmer 932 wandte seine Augen von Steve Peterson ab und betrachtete das Mädchen. Das war also die Journalistin, mit der es Steve ernst meinte. Sie sah seiner Frau überhaupt nicht ähnlich. Sie war offensichtlich größer und hatte eine Figur wie jemand, der viel Sport treibt. Seine Frau war kleiner gewesen, puppig, mit runden Brüsten und pechschwarzem Haar, das sich um Stirn und Ohren kräuselte.
    Sharon Martins Augen erinnerten ihn an die Farbe, die das Meer damals hatte, als er im vergangenen Sommer zum Strand hinausgefahren war. Er hatte gehört, Jones Beach sei ein guter Platz, um Mädchen kennenzulernen, aber es hatte nicht geklappt. Die eine, mit der er im Wasser herumzualbern versucht hatte, schrie gleich nach ihrem Bob, und eine Minute später war der Kerl schon neben ihm und fragte, ob er ein Problem habe. Also hatte er sich mit seiner Decke verzogen und einfach aufs Meer hinausgestarrt, auf die wechselnden Farben.
    Grün. Das war es. Grün mit blau vermischt und aufgewühlt. Ihm gefielen Augen, die eine solche Farbe hatten. Was sagte Steve gerade? O ja, sie täten ihm leid, die Opfer, nicht ihre Mörder; er empfände Mitleid »mit Menschen, die sich nicht wehren können«.
    »Die haben auch meine Sympathie«, rief Sharon. »Aber man kann hier nicht sagen
    >entweder-oder<. Verstehen Sie nicht, daß eine lebenslängliche Freiheitsstrafe für die Ronald Thompsons dieser Welt Strafe genug wäre?«
    Sie vergaß Tom Brokaw, vergaß die Fernsehkameras, während sie noch einmal versuchte, Steve zu überzeugen. »Wie können Sie - ein Mensch mit so viel Mitgefühl, mit so viel Achtung vor dem Leben - wie können Sie Gott spielen wollen?« fragte sie. »Wie kann irgend jemand sich anmaßen, Gott zu spielen?«
    Aber auch dieses Streitgespräch begann und endete wie jenes erste vor sechs Monaten, als sie sich in dieser Sendung begegnet waren. Schließlich sagte Tom Brokaw: »Unsere Sendezeit geht zu Ende. Können wir zusammenfassend sagen, daß Sie, Mr. Peterson, ungeachtet der Demonstrationen, der Gefängnisaufstände und Studentenkundgebungen, zu denen es regelmäßig überall im Lande kommt, nach wie vor glauben, der eklatante Rückgang der Mordquote rechtfertige die Hinrichtung?« »Ich glaube an das moralische Recht, an die Pflicht der Gesellschaft, sich selbst zu schützen, und an die der Regierung, das heilige Gut der Freiheit unserer Bürger zu wahren«, antwortete Steve.
    »Sharon Martin?« wandte sich Brokaw rasch an sie. »Ich glaube, daß die Todesstrafe sinnlos ist und zur Verrohung führt; daß wir Heim und Straße sicher machen können, indem wir die Gewalttäter festnehmen und sie rasch und entschieden aburteilen und indem wir für Staatsanleihen stimmen, mit denen die notwendigen Strafanstalten gebaut werden können und das Personal dafür bezahlt werden kann. Ich glaube, daß unsere Ehrfurcht vor dem Leben, vor allem Leben, der eigentliche Prüfstein für uns ist, sowohl für uns als Individuen als auch für die Gesellschaft.«
    »Sharon Martin, Stephen Peterson«, sagte Tom Brokaw hastig. »Danke, daß Sie zu uns in die Today Show gekommen sind. - Mich sehen Sie wieder nach der nun folgenden Mitteilung…«
    Der Fernseher im Zimmer 932 des Biltmore Hotels wurde ausgeschaltet. Der muskulöse, breitbrüstige Mann im grünkarierten Anzug blieb noch lange danach sitzen und starrte auf den dunklen Bildschirm. Wieder einmal ging er seinen Plan durch, der damit begann, daß er die Bilder und den Koffer in den geheimen Raum in der Grand Central Station brachte, und damit endete, daß er Steve Petersons Sohn Neil heute abend dorthin brachte. Doch jetzt mußte er sich entscheiden. Sharon Martin würde heute abend in Steves Haus sein. Sie würde auf Neil aufpassen, bis Steve nach Hause kam.
    Eigentlich hatte er vorgehabt, sie einfach dort zu beseitigen. Aber sollte er wirklich? Sie war sehr schön.
    Er dachte an ihre Augen. Blaugrün waren sie wie das Meer, und aufregend und -
    interessiert. Als sie in die Kamera blickte, hatte

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