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Gnadenfrist

Titel: Gnadenfrist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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Treppe hinauf, wobei er sorgfältig und leise einen Fuß nach dem anderen auf die Streben setzte. Gelegentlich durchstreifte doch ein Wachmann dieses Gebiet. Die Beleuchtung war zwar schlecht, aber trotzdem…
    Oben auf dem Treppenabsatz befand sich eine schwere Eisentür. Vorsichtig setzte er Koffer und Einkaufstüte ab, fingerte nervös nach dem Schlüssel in seiner Innentasche und steckte ihn rasch ins Schloß. Zögernd gab das Schloß nach, und die Tür öffnete sich.
    Dahinter war es stockfinster. Er tastete nach dem Lichtschalter, fand ihn, legte seine Hand fest darüber und hob mit der anderen Koffer und Einkaufstüte über die Schwelle. Geräuschlos ließ er die Tür ins Schloß gleiten.
    Nun stand er völlig im Dunkeln. Die Umrisse des Raumes waren nicht zu erkennen. Der Modergeruch war überwältigend. Er stieß einen langen Seufzer aus und versuchte bewußt, sich zu entspannen. Er lauschte auf die Geräusche des Bahnhofs, aber sie waren weit weg und nur zu unterscheiden, wenn man angestrengt hinhörte. Alles war bestens.
    Er schaltete das Licht an, und das Zimmer wurde matt erleuchtet. Die staubige Neonlampe warf ihr grelles Licht auf Decke und Wände, von denen die Farbe abblätterte, während die Zimmerecken tief im Schatten blieben. Der Raum hatte die Form eines großen L; von den bunkerartigen Zementwänden lösten sich dicke graue Placken alter Ölfarbe. Links neben der Tür waren zwei uralte, riesige Waschbecken. Das ständig aus den Hähnen tropfende Wasser hatte innen breite Roststreifen gebildet, die sich durch eine dicke Schmutzkruste zogen. In der Mitte des Raums befand sich hinter einem groben Bretterverschlag eine Art Kamin - ein Speisenaufzug. In der rechten Ecke des L-förmigen Raums enthüllte eine halboffene schmale Tür eine schmutzige Toilette.
    Er wußte, daß das WC funktionierte. Letzte Woche war er zum ersten Mal seit über zwanzig Jahren wieder in diesen Raum gekommen und hatte die Licht- und Wasserleitungen kontrolliert. Irgend etwas hatte ihn hierhergetrieben, hatte ihn an diesen Raum erinnert, als er dabei war, seine Pläne zu schmieden.
    Ein klappriges Armyfeldbett lehnte schief an der gegenüberliegenden Wand, daneben stand eine umgedrehte Apfelsinenkiste. Feldbett und Kiste hatten ihn beunruhigt. Jemand anders hatte irgendwann dieses Zimmer entdeckt und sich darin aufgehalten. Doch der Staub auf dem Feldbett und die abgestandene, modrige Luft konnten nur bedeuten, daß der Raum zumindest seit Monaten, wenn nicht Jahren nicht mehr geöffnet worden war.
    Er war nicht mehr hier gewesen, seit er sechzehn war, seit mehr als einem halben Leben.
    Damals wurde dieses Loch von der Oyster Bar benutzt. Es lag unmittelbar unter der Küche der Oyster Bar, und der alte, mit Brettern vernagelte Aufzug brachte Berge von fettigem Geschirr herunter, das in den tiefen Becken gespült und dann sauber und trocken wieder nach oben geschickt wurde.
    Vor Jahren hatte man die Küche der Oyster Bar renoviert und Spülmaschinen installiert. Der Raum hier unten wurde dichtgemacht. Auch gut. Wer wollte schon in diesem stinkenden Loch arbeiten.
    Aber er konnte sehr wohl noch einem Zweck dienen. Als er überlegte, wo er den Sohn von Peterson unterbringen könnte, bis das Lösegeld bezahlt war, war ihm dieser Raum eingefallen. Er hatte ihn untersucht und erkannt, wie gut er in seinen Plan paßte. Als er hier gearbeitet hatte, die Hände geschwollen von den scharfen Spülmitteln und dem siedeheißen Wasser und den schweren nassen Tüchern, waren alle die gutgekleideten Leute durch den Bahnhof gelaufen, um nach Hause zu ihren teuren Häusern und ihren Autos zu kommen, oder sie hatten im Restaurant gesessen und die Garnelen und Muscheln und Austern und Barsche und Seefische gegessen, deren Reste er von ihren Tellern kratzen mußte, und sie hatten sich einen Dreck um ihn gekümmert.
    Er würde dafür sorgen, daß jeder im Grand Central, ja in New York, von ihm Kenntnis nehmen würde. Nach dem nächsten Mittwoch würden sie ihn nie wieder vergessen.
    Es war nicht schwer gewesen, in diesen Raum zu gelangen. Nach einem Wachsabdruck von dem rostigen Schloß hatte er einen Schlüssel angefertigt. Nun konnte er kommen und gehen, wie es ihm beliebte.
    Heute abend würden Sharon Martin und der Junge mit ihm hier sein. In der Grand Central Station, im verkehrsreichsten Bahnhof der Welt, am besten Ort der Welt, um jemanden zu verstecken.
    Er lachte laut. Hier drin nun konnte er endlich anfangen zu lachen. Er fühlte sich

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