Gnadenthal
Mitarbeiterin mit einem langen Blick. Schließlich senkte sie den Kopf und zog sich in die Kochbuchabteilung zurück.
Er dehnte den verspannten Rücken. «Soweit ich gehört habe, hat Frieder Schloss Gnadenthal längst gebucht, und zwar für die gesamten Herbstferien.»
«Wer sagt das?»
«Dagmar.»
«Ach so», gab Möller säuerlich zurück.
Haferkamp betrachtete ihn – eines Tages würde der Neid ihn fressen.
Er schmunzelte. «Große Klausurtagung, heißt es. Na, wie auch immer, vierzehn Tage reichen vollkommen. Wir sind ja keine Anfänger.»
«Vierzehn Tage am Stück?» Möller rang die Hände. «Wie soll ich denn so lange aus meiner Firma raus? Das muss doch alles organisiert werden.»
«Wem sagst du das? Entschuldige mich einen Moment.» Haferkamp wandte sich dem jungen Mädchen zu, das gerade in den Laden gekommen war. «Kann ich Ihnen helfen?»
Sie lächelte. «Nein danke, später vielleicht. Ich schau mich erst mal um. Wo stehen denn die Romane?»
«Auf der Galerie. Die Treppe hinauf und dann links.»
Möllers klebriger Blick folgte ihr quer durch den Laden.
Haferkamp grinste. «Hansjörg?»
«Hm?» Widerstrebend drehte sich Möller ihm wieder zu. «Eigentlich hast du Recht, wir sind wirklich keine Anfänger mehr.» Dann betrachtete er seine Fingernägel und polierte sie kurz am Jackenärmel. «Vierzehn Tage in Klausur – gar keine schlechte Idee, eigentlich. Ich meine, Frieder wird sich schon was dabei gedacht haben, er hat ja eine Nase für so was.» Er straffte die Schultern. «Gib mir doch schon mal deine Texte, dann kann ich vielleicht ein paar Rollenkonzepte machen.»
Haferkamp schüttelte den Kopf. «Ich muss noch ein bisschen daran feilen. Außerdem will ich ein paar Sachen mit Dagmar und Kai abstimmen. Wir setzen uns am Wochenende zusammen.»
«Etwa nur ihr drei?»
Haferkamp zog die Augenbrauen hoch. «Der große Meister ist ja nicht zu erreichen. Aber mach dir nicht ins Hemd, wird schon klappen.»
«Hm, wissen die anderen Bescheid? Wegen der Herbstferien, meine ich.»
«Keine Ahnung, du kannst ja mal einen Rundruf starten.»
Ihm war ein bisschen flau.
Den ganzen Tag über hatte er keine Zeit gefunden, etwas zu essen, und dann, weil er endlich mit seiner Wohnung vorankommen wollte, hatte er beim Italiener nebenan nach Ladenschluss auf die Schnelle eine Lasagne verschlungen, die ihm jetzt wie ein fetter Klumpen im Magen lag.
Ächzend kniete er sich hin, um die Rückwand am letzten Regal anzubringen.
In den Zimmern sah es noch so aus, als wäre ein Wirbelsturm hindurchgefegt, stapelweise leere Kartons und halb ausgepackte Kisten, Kleidung, die er längst hätte waschen sollen. Nur die Küche war einigermaßen aufgeräumt. Er hatte sie vom Vormieter übernommen, dem es wohl hauptsächlich um Funktionalität gegangen war. Beim Frühstück hatte er eine Liste der Dinge aufgestellt, die er brauchte, um den Raum in den heimeligen Ort zu verwandeln, den er sich vorstellte, wo er für Freunde kochen, mit ihnen essen und bis in die Nacht hinein diskutieren wollte. Wo hatte er den Zettel hingelegt?
Haferkamp öffnete den Hosenknopf und holte tief Luft, dann hievte er das Regal hoch und schob es an die Wand. Im Schlafzimmer standen noch neun große Bücherkisten, aber Gott sei Dank hatte er sie mit System gepackt. Die Zeit hatte er sich genommen, obwohl er nicht schnell genug aus dem Haus hatte rauskommen können. Das Einräumen der Bücher in die Regale würde nicht lange dauern. Grimmig ballte sich sein Magen zusammen.
Die Erstausgaben, all seine sachkundig zusammengetragenen Schätze, es war eine Schande, dass er sie in diesen lackierten Normschränken unterbringen musste, aber Monika hatte die Mahagonivitrine behalten wollen. Sie hatte ein Riesentheater darum gemacht, dabei hatte sie gar keine Verwendung dafür – die paar Meter Taschenbuch, die sie ihr Eigen nannte!
Vermutlich würde sie den Schrank sowieso verkaufen und von dem Geld mit einer Rotte anderer Halbgebildeter – vornehmlich allein stehende, vertrocknete Gymnasiallehrer – auf eine dieser ‹Studiosus›-Reisen gehen, unter «qualifizierter Leitung», versteht sich: die Loireschlösser und die großen Kathedralen Europas. Oder vielleicht in diesem Jahr, mehr so urtümlich, die Galapagosinseln? Und in diesen Kreisen wollte sie den Mann finden, der sie «mal wieder zum Lachen brachte», mit dem sie sich «endlich wieder lebendig fühlte»?
Haferkamp lachte laut auf. Irgendwo inmitten der Kartonberge fing das
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