Bad Fucking
Im Wald herrschte absolute Stille. Selbst den Amseln, Drosseln, Finken und Staren war bei dieser Hitze das Zwitschern vergangen. Nur von ferne hörte man das Rauschen des Wasserfalls, aber das nahm Bartl schon längst nicht mehr wahr. Das einzige Geräusch, das in seine Ohren drang, war das Zirpen von Grillen. Zumindest bildete er sich das ein.
In Bartls Kopf explodierte das Blut und der Wald begann sich zu drehen. Stöhnend setzte sich der Alte auf einen Baumstumpf und öffnete schwerfällig einige Knöpfe seiner fadenscheinigen roten Jacke. Unter den Achseln hatten sich bereits tellergroße Schweißflecken gebildet. Auf der linken Seite der Jacke, direkt über dem Herzen, konnte man den Schriftzug BARTL lesen. Der Name war mit goldener Seide eingestickt, die längst verblasst war.
Obwohl sich in Bartls Plastiktasche nur ein Laib Brot, ein Topf mit gekochten Erdäpfeln und vier Landjäger befanden, war das bereits die dritte Rast, die der alte Mann einlegen musste. Er starrte auf den Boden und beobachtete ein paar Ameisen, die sich mit einem toten Käfer abmühten. Geistesabwesend schob er mit dem Fuß etwas Erde über den Käfer, aber es dauerte nicht lange, und schon tauchten die Ameisen erneut mit ihrer Beute auf.
Bartl dachte über sein Leben nach, als er eine Stimme hörte, die ihm etwas zuflüsterte:
Über allen Gipfeln
Ist Ruh
,
In allen Wipfeln
Spürest du
Kaum einen Hauch;
Die Vögelein schweigen im Walde
.
Warte nur, balde
Ruhest du auch
.
Der alte Mann hielt den Atem an und drehte sich um, sah aber niemanden. Das Gedicht kannte er, wusste aber nicht, woher. Er versuchte sich zu erinnern. Jetzt fiel es ihm wieder ein. Die alte Sonnleitner, die auf einem Bein hinkte, hatte es ihnen in der Volksschule eingetrichtert.
»Bartholomäus, Scheitel knien! Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir.«
Warte nur, balde
Ruhest du auch
.
›Was hätte ich denn tun sollen?‹, fragte sich Bartl, während er den Ameisen bei ihrer Arbeit zusah. ›Hätte ich weggehen sollen? Aber wohin denn? Wohin?‹
Zwei dicke Fleischfliegen, die sich brummend den Schweißflecken auf seiner Jacke näherten, holten Bartl in die Gegenwart zurück. Er verscheuchte die Fliegen mit einer müden Handbewegung, nahm die Plastiktasche und ging langsam weiter.
Von der Ferne sah das kleine, zerbrechliche Männlein mit seinen weißen Haaren und seiner roten Jacke aus wie ein einsamer Zwerg, der sich im Wald verirrt hatte. Jetzt fehlte nur noch die böse Hexe. Oder das Schneewittchen.
Während sich Bartl in der flimmernden Hitze durch den windstillen Wald bewegte, herrschte in der Lobby des Hotels
Zum Hohen Hirn
ein heilloses Durcheinander. Eine Gruppe junger Mädchen war gerade angekommen und hatte den gesamten Eingangsbereich in Beschlag genommen.
Einige lungerten lässig in den bequemen Fauteuils und fächelten sich gegenseitig Luft zu, andere kontrollierten die Displays ihrer Handys und drückten wie wild alle möglichen Tasten, weil es offenbar ein Problem mit demNetz gab. Wieder andere nestelten an ihren T-Shirts und Röckchen herum und unterhielten sich über das »extrem geile« Tattoo, das sich Nadja auf ihre Hinterbacken hatte stechen lassen. Der Rest stand an der Rezeption und belagerte Philipp Hintersteiner mit Sonderwünschen wegen der Zimmereinteilung. Die Klimaanlage arbeitete auf Hochtouren.
»Nein, ich möchte lieber mit der Katja in einem Zimmer schlafen«, sagte Babsi, als ihr Philipp den Schlüssel zum Zimmer gab, das bereits Nina für sich reserviert hatte.
»Ich habe Höhenangst und brauche ein Zimmer ganz unten in Ihrer Nähe«, flüsterte Liesi dem schwitzenden Philipp Hintersteiner zu und lachte über ihre spaßige Bemerkung.
»Ein Zimmer ohne Balkon nehme ich nicht«, schrie Candy, die ihre Kopfhörer nur zum Schlafen abnahm. Aber auch das nicht immer.
»Habe ich in diesem Zimmer auch sicher einen Empfang für mein Handy?«, fragte Sonja, die einen skeptischen Blick auf ihr neues, buntes Telefon warf. Weshalb zeigte das Display keinen Empfang an?
In der Lobby verstreut lagen dutzende Rucksäcke, Koffer und bunte Pompons, jene Quasten aus Kunststoff, Metallfolie und Wolle, die Cheerleader während ihrer Auftritte bei Footballspielen kunstvoll durch die Luft wirbeln.
Mitten in diesem Durcheinander stand Sandra Redmont und versuchte, sich einen Überblick zu verschaffen. Sandra war von der
Austrian Cheerleader Association
engagiert worden, um die
Vienna Honeybees
eine Woche lang auf
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