Gnadenthal
sagte Sibylle angestrengt. «Am Montag hattest du einen anderen Pullover an, Rüdiger. Einen blauen Norweger mit weißen Elchen.»
Rüdiger wurde zornrot. «Na und? Ich wusste es nicht mehr genau. Der muss wohl in meinem Koffer sein.»
Es klopfte an der Terrassentür. Van Gemmern hielt ein schlammtriefendes Bündel in den Händen – ein kleines Steingebilde, eingewickelt in einen wollenen Lappen. Als er es Toppe entgegenstreckte, erkannte man die hellen Elche.
Es war totenstill.
Dann würgte Dagmar und sackte zu Boden. «O mein Gott. Es war meine Schuld.» Sie schlug die Hände vors Gesicht. «Es ist alles meine Schuld.»
«Wisst ihr, was er zu mir gesagt hat, als er da angetorkelt kam?» Rüdiger lachte, als wollte er nie mehr aufhören. «Mit diesem fetten Grinsen im Gesicht. Er guckt mich an und sagt: ‹He, Kumpel, alles im grünen Bereich?›»
Zwanzig
Sie checkten alle gleichzeitig aus, stolperten über Taschen, machten die Frau an der Rezeption halb verrückt.
Maria zog Sibylle zur Seite. «Gehst du jetzt trotzdem zu Sat.1?», raunte sie.
Bylle fuhr sich mit feuchtem Finger glättend über die Augenbrauen. «Wahrscheinlich nicht. Die neue Show ist ja wohl geplatzt. Aber das ist egal. Wir müssen uns um Dagmar kümmern. Die tut mir so Leid.»
«Sie kommt schon klar.»
Kai Janicki stand ein wenig abseits und sprach in sein Handy. «Ich komme heute schon zurück, Liebes. In zwei Stunden bin ich da … Ja, wir sind tatsächlich früher fertig geworden. Ich erzähl dir alles später …»
Möller baute sich im Ausgang auf und versuchte, alle zu übertönen. «Leute, wir müssen noch über die Beerdigung sprechen. Gehen wir geschlossen hin? Und wir müssen einen Kranz besorgen, irgendwas Besonderes, das mit uns, mit der ‹13›, zu tun hat, schließlich …»
«Kann mich einer zu Hause absetzen?», rief Walterfang, aber keiner achtete auf ihn.
Haferkamp lehnte am Küchentresen.
«Und bei Rüdiger haben sie keine nasse Hose gefunden?», fragte Frau Wegner.
«Nein», antwortete er. «Sie haben sein Zimmer erst einen Tag später durchsucht, da hatte er sie längst getrocknet.»
Es schauderte sie. «Man darf es ja nicht laut sagen, aber irgendwie kann ich den armen Kerl verstehen. Wenn ich mir vorstelle, dass er von nichts gewusst hat und auf einmal vor all den Leuten … Ich bin nur froh, dass der seiner eigenen Frau nichts angetan hat.»
«Ach nein», meinte Haferkamp, «das hätte er nie getan. Es ist alles zusammengekommen. Wenn Sibylle seine Wut nicht noch weiter geschürt hätte, wenn er nicht so betrunken gewesen wäre, wenn Frieder ihn nicht auch noch verspottet hätte … es war einfach ein Kurzschluss.»
«Wieso hat eigentlich keiner von euch gesehen, wie das passiert ist? Ihr seid doch alle im Park rumgelaufen.»
«Weil wir da schon wieder im Bett lagen. Wenn ich es richtig verstanden habe, habe ich es nur um fünf Minuten verpasst, aber glaub mir, ich bin verdammt froh darüber.»
«Meinst du, Rüdiger hat wirklich gedacht, er kommt mit heiler Haut davon?»
«Ich weiß es nicht, ich glaube, er hat versucht, überhaupt nicht zu denken. Tja, das war’s dann wohl, Hedwig.»
«Ach, Jung, das kann doch nicht sein, nach dreißig Jahren!»
«Da waren’s nur noch zwölf», murmelte er und probierte ein Lächeln. «Doch, ich fürchte, das war’s mit der ‹Wilden 13›.» Er griff nach ihrer Hand. «Aber ich bin nicht aus der Welt. Du kannst mich doch mal im Laden besuchen.»
Hedwig Wegner wischte sich über die Augen. «Ja, ich glaube, das mache ich wirklich mal.»
Haferkamp lief zum Fenster. Dagmar schleppte ihre Taschen zum Auto.
«Entschuldige, Hedwig, ich muss …»
Sie nickte. «Die arme Frau …»
Er fasste sie bei den Schultern. «Kommst du klar?»
«Ich weiß nicht.» Ihre Stimme war rau. «Ich will nicht nach Hause, ich will da nicht hin.»
Haferkamp strich ihr über die Wange. «Aber du musst, Daggi. Du musst mit eurem Anwalt sprechen. Und du musst ihm alles erzählen, ich meine, wirklich alles.»
Sie schaute an ihm vorbei ins Nichts. «Nächste Woche muss ich wieder arbeiten …»
«Du lässt dich krankschreiben.» Er zog sie an sich. «Ich komme mit.»
Informationen zum Buch
Die Vergangenheit holt jeden ein.
Eine Kabarettgruppe aus alten Studientagen – wie jedes Jahr treffen sich alle Mitglieder für einige Tage auf Schloss Gnadenthal, um ein neues Programm einzustudieren. Aber dieses Mal fliegen von Anfang an die Fetzen – die Vorbereitung
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