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Gnadenthal

Gnadenthal

Titel: Gnadenthal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hiltrud Leenders , Michael Bay , Artur Leenders
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dem Schrank zu nehmen und endlich die Möhren aufzusetzen, aber er war noch nicht fertig. «Ich find’s sowieso bescheuert, dass ich mir extra zwei Wochen Urlaub nehmen soll. Es reicht völlig, wenn ich in den letzten zwei, drei Tagen dazu komme, um Licht zu bauen. Vorher braucht ihr mich doch gar nicht.»
    «Was soll das denn jetzt?» Dagmar schaltete den Herd ein und holte innerlich Luft. «In all den Jahren haben wir immer gemeinsam das Programm erarbeitet, alle, auch du, Helmut und Johanna, selbst Heinrich. Und das war auch gut so. Du weißt genau, wie wichtig jeder Einzelne dabei ist, gerade euer Blick von außen drauf. Und jetzt zum Jubiläum im WDR, das ist doch eine Riesenchance!»
    «O ja, klasse», blaffte er. «Fünfzig Jahre alt, und ich kriege endlich eine Riesenchance als Beleuchter. Wenn das keine Karriere ist!»

Zwei
    Martin Haferkamp schaute sich um und lächelte. Er hatte eine Menge geschafft an den letzten Abenden. Es konnte durchaus passieren, dass er sich in dieser Wohnung irgendwann einmal zu Hause fühlte.
    Heute hatte er Frau Moor die Verantwortung für die Buchhandlung überlassen und war schon um halb zwölf aus dem Laden verschwunden. Er hatte sich bewusst nicht abhetzen wollen, wollte es auch in Zukunft nicht mehr – es war an der Zeit, einiges zu überdenken und neu zu organisieren.
    Gegen fünf würden Dagmar und Kai hier sein, und er freute sich auf das gemeinsame Essen. Alles war vorbereitet: Die Vorspeisenplatte stand abgedeckt im Kühlschrank, die Lammkeule lag, gut angebraten und fertig gewürzt, in der Kasserolle, er musste sie nur noch in den Ofen schieben. Und nach dem Essen bei einem Wein und später dann bei Kaffee würden sie sich an die Arbeit setzen, auch darauf freute er sich.
    Im Hotel unten an der Straße, keine fünf Gehminuten von seiner Wohnung entfernt, hatte er zwei Zimmer reservieren lassen. Die Zeit der Schlafsäcke und Isomatten war unwiederbringlich vorbei, nicht nur, weil sie es heute gern bequemer hatten, man wollte sich auch so nah nicht mehr sein.
    Er strich leicht über die neue Schreibtischplatte aus honigfarbenem Holz, froh, dass er sich gegen Glas und Stahl entschieden hatte, die sanfte Farbe und das lebendige Material gefielen ihm. Vorsichtig stellte er die blaue Schachtel darauf ab und lüpfte den Deckel. Die Leute vom Fernsehen wollten in der Sendung zusätzlich zum alten Programm einen Rückblick auf die vergangenen dreißig Jahre bringen und hatten um alte Fotos gebeten. In dieser Schachtel lagen unsortiert die Aufnahmen aus den Jahren 1973 bis 1984, Gott sei Dank hatte er meistens die entsprechende Jahreszahl auf der Rückseite notiert.
    Entschlossen machte er sich an die Arbeit und hatte schließlich zwölf unterschiedlich hohe Stapel vor sich liegen. Jetzt musste er nur noch eine Auswahl treffen, aber zunächst einmal brauchte er einen Kaffee. Vorgestern hatte er sich eine große Espressomaschine gekauft, ein Luxus, mit dem er lange geliebäugelt, sich aber nie zu gönnen gewagt hatte. Aber was hielt ihn jetzt eigentlich noch ab? Er musste kaum Unterhalt zahlen, konnte sich zehn Kaffeemaschinen kaufen und seinen letzten Cent für Bibliophiles ausgeben, ohne Rechenschaft ablegen zu müssen. Er holte eine der neuen Capuccinotassen aus dem Schrank und nahm die Bedienungsanleitung für die Wundermaschine zur Hand. Wenn er Milch aufschäumen wollte, musste er die einzelnen Schritte immer noch nachlesen.
    Mit dem Kaffee in der Hand stellte er sich ans Küchenfenster. Die spektakuläre Aussicht auf die Burg hatte letztendlich den Ausschlag für diese Wohnung gegeben, der Ausblick und die kleine Dachterrasse.
    Seit siebzehn Jahren lebte er nun in dieser Stadt. Er hatte sie vorher gekannt durch die Treffen der ‹13› auf Schloss Gnadenthal und niemals den Wunsch verspürt, hier zu wohnen. Zu provinziell, zu konservativ, zu bescheiden war ihm alles erschienen. Aber dann hatte er die Gelegenheit gehabt, hier eine alteingesessene Buchhandlung zu übernehmen, und da hatte er nicht lange gezögert – solche Chancen waren dünn gesät. Mittlerweile lebte er gern hier, schätzte das Internationale durch die Nähe zu Holland, mochte die schwermütige Landschaft drumherum. Mit den Jahren hatte die Stadt sich gemausert, es gab jede Menge Kultur, aber womöglich war er selbst bescheidener geworden, ruhiger auf jeden Fall. Es ging ihm gut, durch seinen Beruf lernte er immer wieder Gleichgesinnte kennen, und er hatte sich über die Jahre einen überschaubaren

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