Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gnosis

Gnosis

Titel: Gnosis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Fawer
Vom Netzwerk:
stellen.
    Schon wollte sie sich erneut verbeugen, als ihr ein Mann im Mittelgang auffiel. Nicht sein Äußeres – stahlgraues Haar, Bartstoppeln, dunkle Brille und ein Kinn wie ein Granitblock – ließ sie zusammenzucken. Auch nicht der Schäferhund, der brav zu seinen Füßen saß.
    Es war das deutliche Gefühl, ihn zu kennen. Und außerdem war sie sicher, dass der Blinde sie anstarrte.

KAPITEL 3
29. DEZEMBER 2007 – 16:58 UHR (55 STUNDEN, 2 MINUTEN BIS ZUR NACHT DES JÜNGSTEN GERICHTS)
     
     
    Elijah blickte in den leeren Raum jenseits des Spiegels und wünschte, er könnte sich vom Wolkenkratzer an der Fifth Avenue direkt in sein Hotelzimmer beamen, um nicht vor die Tür gehen zu müssen. Bestimmt waren die Straßen voll, unmöglich, ein Taxi zu bekommen, besonders bei den vielen Weihnachtstouristen, die noch in der Stadt waren.
    Und die U-Bahn kam nicht in Frage. Der bloße Gedanke an die überfüllten Waggons trieb Elijah den kalten Schweiß auf die Stirn. Für einen Ochlophobiker hätte man sich keine schlimmere Folterkammer als die New Yorker U-Bahn ausdenken können.
    Plötzlich ging die Tür auf, und ein großer Mann im dunkelgrauen Anzug kam herein. Elijah zwang sich, dem freundlichen Blick seines Besuchers zu begegnen. Der Mann strahlte ungeheures Selbstvertrauen aus, von den polierten schwarzen Lederschuhen bis hin zum jungenhaft zerzausten Haar. Er sah aus wie Robert Redford in Butch Cassidy und Sundance Kid – oder besser noch in Der Kandidat.
    «Herr Kongressabgeordneter!», rief Elijah und wich unwillkürlich an die Wand zurück.
    «Mein Ruf eilt mir voraus», sagte der Politiker lächelnd, wobei er immer näher kam. «Ich weiß, dass Sie eigentlich nur mit Terry zu tun haben wollen, aber ich musste die Legende einfach kennenlernen.»
    «D-d-danke», sagte Elijah, weil er nicht wusste, was er sonst sagen sollte. Am liebsten hätte er sich abgewandt, aber dieser Mann zog seine Aufmerksamkeit auf sich – oder besser: er erzwang sie.
    «Nun … Terry sagt, Ihr geniales Marketingtalent beruht darauf, dass Sie eigentlich Psychologe sind.»
    «Das habe ich studiert, den Beruf habe ich aber nie ausgeübt.»
    «Sie haben sich gedacht, dass politische Berater besser bezahlt werden, was?»
    Elijah dachte daran, wie er fast durchgedreht war, als er zum ersten Mal eine geschlossene Anstalt von innen gesehen hatte. «Ja, so ungefähr.» Er starrte auf seine Schuhspitzen.
    Es folgte verlegenes Schweigen.
    «Tja, Sie haben sicher noch zu tun. Ich wollte nur nicht gehen, ohne mich vorzustellen. Sie wissen ja – ich bin Politiker: Ich lebe dafür, Hände zu schütteln.»
    Der Abgeordnete reichte ihm die Hand. Für den Bruchteil eines Augenblicks hob auch Elijah seine Hand. Seine Reaktion war fast automatisch, aber er wusste es besser. Im Stillen zählte er die einzelnen Schritte auf, die hinter der Bewegung standen.
    Die Substantia nigra im Stirnlappen meiner Großhirnrinde gibt die elektrochemische Botschaft heraus, die über Millionen Nerven durch das myelinisierte Axon in die verzweigten Dendriten meiner Muskeln geleitet wird. Deshalb hebe ich meine Hand.
    Die medizinische Information flatterte durch Elijahs Gedanken, sein persönlicher Discovery Channel. Eine kleine Ablenkung, um nicht über die monströse Aufgabe nachdenken zu müssen, welche er nun zu bewältigen hatte: die Berührung eines menschlichen Wesens.
    Elijahs Hand kam ein Stückchen höher. Dann verpuffte seine Tapferkeit. Er ließ den Arm sinken und trat zurück. Der Stuhl, der hinter ihm stand, drückte sich unangenehm gegen seinen Rücken.
    «Tut mir leid, ich, ähm … ich hab da ein Problem mit Bazillen.»
    Die Hand des Kongressabgeordneten blieb noch einen Moment lang in der Luft. Dann nickte er. «Verstehe. Ich freue mich trotzdem, dass wir uns nun einmal gesehen haben. Und ich freue mich, dass der Mann hinter dem Spiegel ein gläubiger Mensch ist.»
    Der Abgeordnete sah auf die Kette um Elijahs Hals.
    «Ach, das …», sagte Elijah und fingerte nervös an dem Silberkreuz herum. «Eigentlich bin ich gar nicht religiös.»
    «Sie glauben nicht an Gott?»
    «Äh … nein», sagte Elijah, etwas überrascht von der unverblümten Frage.
    «Früher war ich wie Sie», sagte der Kongressabgeordnete. «Doch als ich zu Gott fand, hat er mir dabei geholfen, meinen Frieden zu finden. Und wenn ich das so sagen darf: Sie scheinen mir ein Mann zu sein, der ein wenig Frieden brauchen könnte.»
    «Ich wünschte, es wäre so einfach.»
    «Warum ist es

Weitere Kostenlose Bücher