Räuberleben
Sulz am Neckar, den 26. August 1794
Mein lieber Freund,
der Brand, von dem ich Ihnen berichten will, liegt nun schon fast sechs Wochen zurück. Dieser schreckliche Brand! Wer könnte ihn je vergessen! Er begann am 15. Juli, morgens um elf Uhr, und in wenigen Stunden legte er die ganze innere Stadt in Schutt und Asche. Das Feuer brach - durch Unachtsamkeit wohl, durch Funkenflug - im Haus des Schlossers Büchele nahe der Stadtmühle aus, es fraß sich, vom aufkommenden Sturmwind begünstigt, in rasender Eile durch die nächstgelegenen Häuser bis zum Mühlkanal, wo ich seit vielen Jahren meine Wohnung hatte. Die Hitze war so gewaltig, dass sie jede wirksame Hilfe vereitelte; sie ließ weder Löscharbeiten noch das vorsorgliche Niederreißen von Häusern zu. Am frühen Nachmittag drehte sich unseligerweise der Wind und trieb das Feuer zum Marktplatz hin und darüber hinaus. Fast alle Häuser innerhalb der Stadtmauern standen nun in Flammen.
Ich saß wie gewöhnlich in der Oberamtei hinter meinem Schreibpult, als das Feuerhorn gellte, und rannte, gefolgt von meinem Gehilfen, gleich hinaus, um zu sehen, wo es brannte. Gerötet war der Himmel, zu meinem Entsetzen, in der Richtung meines Hauses. Über die Dächer hinweg kroch beißender Rauch, der sich hier und dort aufplusterte wie ein riesenhaftes schwarzes Federvieh. Die Leute liefen durch die Gassen, schrien einander zu, was man tun müsste. Kinder weinten und hielten sich an den Röcken der Mütter fest, beinahe am schlimmsten war das Gebrüll der Tiere. Es hatten sich aber auch schon Kolonnen gebildet, in denen mit Neckarwasser gefüllte Ledereimer von Hand zu Hand weitergereicht wurden. Die beiden Feuerspritzen seien am Brandort, hieß es.
Ach, alle Anstrengungen waren vergeblich. Ich hatte mich durchs Gewimmel noch zu unserem Haus vorgekämpft. Fassungslos war mir draußen Caroline, meine Ehefrau, entgegengetaumelt und hatte mich, da schon Flammen aus dem Dachstock schlugen, zurückzuhalten versucht. Ich aber rannte in den ersten Stock hinauf, suchte ein paar Dokumente und Schriften zusammen, dazu einiges an Barem, einen Arm voll Kleider, und damit rettete ich mich, am Ende meiner Kräfte, ins Freie. Hinter mir gelassen hatte ich sämtliche Kästen mit meinen Insekten, und mir schien schon unten an der Treppe, ich hörte von oben den Knall platzenden Glases und das Knistern verbrennender Wespen und Schmetterlinge. Das wird Sie, lieber Freund, gewiss auch betrüben, verdanke ich doch Ihnen so viele gute Ratschläge, die meine Leidenschaft in methodische Bahnen gelenkt haben. Aber ich fand gar keine Zeit, diesen Verlust zu betrauern, das große Feuer zog alle Aufmerksamkeit und alle Ängste auf sich.
Eine Weile schauten wir gebannt zu, wie in unserer Häuserzeile die Flammen wüteten. Ein Nachbar, der mir einen gefüllten Ledereimer weitergab, weckte mich aus meinem Stupor. Ich reihte mich, während Caroline unsere spärliche Habe bewachte, in eine der Löschkolonnen ein, doch unsere Mühe nützte nichts, wir hätten ebenso gut ins Feuer spucken können. Dann begannen Wangen und Ohren zu glühen, das Atmen im dichter werdenden Rauch fiel immer schwerer, und als die ersten Balken vor uns niederkrachten und die Funkengarben aufstoben, mussten wir über die kleine Brücke am Mühlkanal zurückweichen. Schritt um Schritt ging es weiter zum Marktplatz und zum Tor am Neckar, wo das Wasser geschöpft wurde. Wir kamen am Haus des Oberamtmanns Schäffer vorbei, das dem großen Brand ebenfalls nicht entging. Schäffer hatte ich in diesen Flammenstunden einige Male in der Menge erkannt. Er hatte Ordnung ins Chaos zu bringen versucht, man gehorchte ihm und dann wieder nicht. Die oberste Autorität war an diesem Tag und in der darauffolgenden Nacht das Feuer, und Schäffer, berühmt in halb Europa, musste einsehen, dass es leichter war, Räuber einzufangen und an den Galgen zu bringen, als Flammen zu bändigen.
Aus den Nachbardörfern rückte Hilfe an. Mit vereinten Kräften gelang es immerhin, einige Gebäude vor der völligen Zerstörung zu bewahren, dazu gehörten die Kirche und das Dekanat, ebenso das Untere Tor und der Pfleghof. Die Nacht verbrachten wir auf den Neckarwiesen am jenseitigen Ufer. Die Bewohner der verschont gebliebenen Vorstadt brachten uns Decken und einiges zum Essen. In den Nachthimmel hinein züngelten noch stundenlang Flammen; sie schienen zu erlöschen, fanden neue Nahrung und wurden wieder zur mächtigen Lohe, die sich auf unseren
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