Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band
Systemen in die Zahlentheorie tauchten Probleme dieser Art auf. Bei jedem System, das arithmetisiert ist, kann man fragen: „Können wir erzeugbare Zahlen in einfacher Weise charakterisieren?“ „Können wir nicht erzeugbare Zahlen rekursiv aufzählbar charakterisieren?“ Das sind schwierige zahlentheoretische Fragen. Je nach dem System, das arithmetisiert wurde, könnte die Lösung solcher Fragen für uns zu schwierig sein. Wenn aber Hoffnung auf die Lösung solcher Probleme besteht, müßte sie auf dem üblichen schrittweisen folgerichtigen Denken beruhen, wie es bei natürlichen Zahlen angewandt wird. Und eben das haben wir ja im wesentlichen im vorausgegangenen Kapitel getan. TNT schien alle gültigen mathematischen Denkprozesse in einem einzigen kompakten System eingefangen zu haben.
Antworten auf Fragen über erzeugbare Zahlen mit Hilfe von TNT
Könnte es also sein, daß die Mittel, mit denen man jede Frage über jedes formale System beantworten kann, nur mehr in einem einzigen formalen System liegen: TNT? Einleuchtend scheint es. Man nehme zum Beispiel diese Frage:
Ist MU ein S ATZ des MIU-Systems?
Die Antwort zu finden ist gleichbedeutend mit der Feststellung, ob 30 eine MIU-Zahl ist oder nicht. Da es sich um eine zahlentheoretische Aussage handelt, können wir erwarten, nach schwerer Arbeit herauszufinden, wie die Aussage „30 ist eine MIU-Zahl“ in TNT-Notation zu übersetzen wäre — ungefähr auf gleiche Weise, wie wir herausgefunden haben, wie andere zahlentheoretische Aussagen in TNT-Notation zu übersetzen sind. Ich muß den Leser sofort warnen, daß eine solche Übersetzung, obgleich sie existiert, ungeheuer komplex ist. Wie man sich wohl erinnert, habe ich in Kapitel VIII darauf hingewiesen, daß selbst eine so einfache arithmetische Aussage wie „ b ist eine Potenz von 10“ in der TNT-Notierung äußerst vertrackt ist. Und die Aussage „ b ist eine MIU-Zahl“ ist noch viel komplizierter! Immerhin läßt sie sich finden, und das Zahlzeichen SSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSSS0 kann für jedes b substituiert werden. Das ergibt eine MONSTRÖSE TNT-Kette, eine Kette, die über das MU-Rätsel spricht. Nennen wir die Kette also „M UMON “. Mittels M UMON und ähnlichen Ketten kann TNT jetzt in „codierter“ Form über das MIU-System sprechen.
Die Dual-Natur von MUMON
Um einen gewissen Gewinn aus dieser eigenartigen Umformung der ursprünglichen Frage zu ziehen, müßten wir die Antwort auf eine neue Frage finden:
Ist M UMON ein S ATZ von TNT?
Alles was wir getan haben, ist eine verhältnismäßig kurze Kette ( MU ) durch eine andere (das monströse M UMON ) zu ersetzen, und ein einfaches formales System (das MIU-System) durch ein komplizierteres (TNT). Unwahrscheinlich ist, daß die Antwort leichter zu erlangen ist, obgleich die Frage in eine andere Form gebracht wurde. Tatsächlich besitzt TNT eine große Menge von Verlängerungs- wie auch von Verkürzungsregeln, und die Umformulierung der Frage ist wahrscheinlich viel schwieriger als das Original. Man könnte sogar sagen, daß MU via M UMON zu betrachten, eine vorsätzlich idiotische Art ist, mit den Dingen umzugehen. Indessen kann man M UMON auf mehr als einer Ebene betrachten.
Tatsächlich ist dies ein faszinierender Punkt: M UMON hat zwei verschiedene passive Bedeutungen. Erstens die oben gegebene:
30 ist eine MIU-Zahl
Aber zweitens wissen wir, daß diese Aussage (via Isomorphie) an die Aussage gebunden ist:
MU ist ein S ATZ des MIU-Systems.
So sind wir also berechtigt, diese Aussage als die zweite passive Bedeutung von M UMON aufzufassen. Es erscheint vielleicht sehr seltsam, da M UMON schließlich nur Pluszeichen, Klammern, usw. enthält — Symbole von TNT. Wie kann es denn irgendeine Aussage mit anderen als arithmetischen Inhalten auszudrücken?
Tatsache ist, daß es das kann. So wie eine einzelne musikalische Tonfolge in einem und demselben Stück sowohl als harmonisches wie auch als melodisches Element verwendet werden kann, wie „BACH“ sowohl als Name wie auch als Melodie interpretiert werden kann, wie ein einziger Satz eine genaue strukturelle Beschreibung eines Bildes von Escher sein kann oder eines Teils der DNA oder eines Stücks von Bach oder des Dialogs, in den der Satz eingebettet ist, so kann man M UMON auf (mindestens) zwei völlig verschiedene Arten auffassen. Das rührt von zwei Tatsachen her:
Tatsache 1: Aussagen wie „MU ist ein S ATZ “, können vermittels Gödels Isomorphie zahlentheoretisch codiert
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