Göring: Eine Karriere (German Edition)
später – ein harter Schicksalsschlag traf. 1879 verlor er seine erste Frau Ida im Kindbett. Obwohl der vierzigjährige Witwer vier Kinder im Alter von wenigen Tagen bis zu neun Jahren zu versorgen hatte, nahm er wenige Jahre später die Stelle eines »Ministerresidenten« in der gerade erst gegründeten Kolonie Deutsch-Südwestafrika an – wahrlich alles andere als ein Routineposten, galt es doch, die Verwaltung dieser ersten deutschen Kolonie unter seiner Leitung überhaupt erst aufzubauen.
Das Grausamste, was einem Kind passieren kann, ist die Trennung von der Mutter in den ersten Lebensjahren.
Göring
Der frisch gebackene Kolonialbeamte bereitete sich auf doppelte Weise vor: zum einen, indem er im Auftrag des Reichskanzlers Bismarck nach London reiste, um sich im Zentrum des größten Kolonialreichs der Welt mit seinem neuen Aufgabenfeld vertraut zu machen, und zum anderen, indem er ebendort am 26. Mai 1885 die gut 20 Jahre jüngere Franziska Tiefenbrunn heiratete – eine gebürtige Münchnerin aus bescheidenen Verhältnissen, die ihm nach London gefolgt war. Neben der bezeugten Attraktivität der jungen Frau, seinem Wunsch, die Kinder aus erster Ehe im neuen Land versorgt zu sehen, hatten unübersehbare Notwendigkeiten die Ehe der ungleichen Partner beschleunigt: Bereits drei Monate nach der Hochzeit kam ihr erster Sohn zur Welt, den die Frischvermählten auf den Namen Karl Ernst tauften. Zwei Töchter, Olga und Paula, folgten in kurzen Abständen, dann wurde Hermann geboren und schließlich als letztes Kind sein jüngerer Bruder Albert. Als Zweitjüngster wuchs Hermann Göring im Kreis von neun Geschwistern und Halbgeschwistern auf. Benannt wurde er nach seinem Patenonkel, dem jüdischstämmigen Arzt Dr. Hermann Epenstein, den die Eltern während ihres fünfjährigen Aufenthalts in Südwestafrika kennen gelernt hatten. Den Zweitnamen Wilhelm erhielt der Knabe nach dem vom Vater hochverehrten deutschen Kaiser.
»Alles andere als ein Routineposten«: Heinrich Göring (rechts) und seine Frau Franziska (sitzend) mit ihrem ersten Sohn Karl Ernst und deutschen Marineoffizieren
1896 kehrte Heinrich Göring mit der Familie aus Haiti zurück, um sich vorzeitig pensionieren zu lassen – vermutlich hatten die langen Jahre unter schwierigen klimatischen und hygienischen Bedingungen die Gesundheit des jetzt achtundfünfzigjährigen Diplomaten beeinträchtigt. Die Görings ließen sich zunächst in Berlin nieder, wohin sie nun auch Hermann holten, der auf diese Weise zum ersten Mal mit seiner Familie vereint war. In den nächsten beiden Jahren wohnte Hermann mit der neuen Großfamilie im Berliner Vorort Friedenau in der Fregestraße. Das Haus gehörte seinem Patenonkel Dr. Hermann Epenstein, der die Familie Göring nach ihrer Rückkehr unter seine Fittiche genommen hatte. Nur zu gerne hatten Görings Eltern, die von einer Beamtenpension eine vielköpfige Kinderschar zu unterhalten hatten, das Angebot ihres wohlhabenden Freundes angenommen, in einem seiner zahlreichen Häuser mietfrei wohnen zu dürfen.
»Das Grausamste, was einem Kind passieren kann«: Hermann Göring (zweiter von links) vereint mit seiner Mutter und seinen Geschwistern im Jahr 1899
Viele der Eigenschaften, die Hermann Göring prägten, sind dem unheilvollen Einfluss seines Patenonkels zugeschrieben worden, der nun in sein Leben trat. Und in der Tat: Der Hang zur pompösen Eitelkeit, die Lust an Macht und Reichtum um ihrer selbst willen, der Drang, die Ritterträume der Kindheit als Erwachsener auszuleben – all diese Facetten stammen eher aus dem Charakterbild Epensteins als aus dem von Görings Vater, der als preußischer Beamter stets korrekt seine Pflichten erfüllt hatte. Als Sohn einer zum evangelischen Glauben konvertierten jüdischen Familie, die in Berlin enormen Grundbesitz besaß, war Epenstein nie gezwungen gewesen, seinen erlernten Beruf als Arzt tatsächlich auszuüben. Der überzeugte Junggeselle reiste lieber durch die Welt und genoss das Leben. 1894 erfüllte er sich seinen Jugendtraum und kaufte Schloss Mauterndorf in Österreich, nahe der bayerischen Grenze. Mit viel Geld ließ er die einstige Burg der Fürstbischöfe von Salzburg, die zur Ruine verkommen war, in altem Glanz wiedererstehen. Für seine Bemühungen, unterstützt durch wohlplatzierte soziale Spenden, wurde er vom österreichischen Kaiser 1910 in den Adelsstand erhoben und durfte sich fortan »Ritter von Epenstein« nennen. Die Restaurierung alter
Weitere Kostenlose Bücher