Göring: Eine Karriere (German Edition)
ausladenden Bauch freiließ. An Hals und Brust, halb verborgen, prangten der »Pour le Mérite« und das »Großkreuz des Eisernen Kreuzes«, die beiden höchsten Orden des Ersten und des Zweiten Weltkriegs. Lastwagen, voll gepackt mit Soldaten einer Luftnachrichtentruppe, folgten der Kolonne als Eskorte auf dem Weg von Schloss Mauterndorf nach Fischhorn. Erinnerungen an eine andere Zeit kamen auf, als Göring auf dem Höhepunkt der Macht triumphale Rundreisen durch das mit dem Reich vereinigte Österreich unternahm. Wieder, so glaubte er, war er unterwegs in einer historischen Mission. Als »ranghöchster Offizier der deutschen Wehrmacht« hatte er den Oberkommandierenden der Westmächte, US-General Dwight D. Eisenhower, um eine persönliche Unterredung gebeten. Von »Marschall zu Marschall« wollte er gemeinsam mit ihm auf »menschlichsoldatischer Ebene« eine Lösung finden, die »weiteres Blutvergießen in einer aussichtslosen Lage« verhinderte.
»Wenigstens zwölf Jahre lang anständig gelebt«: Göring nach seiner Festnahme durch amerikanische Truppen
Bei Radstatt, 80 Kilometer südöstlich von Salzburg, war der »Triumphzug« zu Ende. Eine amerikanische Einheit versperrte mit feuerbereiten Maschinengewehren die Straße. Ihr Kommandeur, Brigadegeneral Robert J. Stack, war Göring von Fischhorn aus entgegengefahren. Als die Kolonne hielt, ging Stack auf den Maybach zu und grüßte militärisch. Göring grüßte zurück, danach schüttelten sich die beiden Männer die Hände. In den USA lösten Berichte von dieser Begrüßung einen Skandal aus. Niemals, so die einhellige Meinung, hätte Stack einem »Kriegsverbrecher« militärische Ehren bezeugen dürfen. Auch auf deutscher Seite wurde die Szene mit Kopfschütteln quittiert: »Mein Vater sagte: ›Da schau es dir an, diese Gauner. Jetzt schütteln die sich die Hände, und die Landser mussten dafür ihren Kopf hinhalten‹«, erinnert sich der damals zwölfjährige Augenzeuge Josef Scharfetter. Bei Göring nährte die freundliche Aufnahme noch einmal die irreale Hoffnung, die Alliierten würden ihn als Verhandlungspartner akzeptieren. So oder so – sein Leben als zweitmächtigster Mann einer Großmacht war vorüber, das war auch ihm bewusst. Vorbei die Zeit, in der er sich mit der Pracht eines Renaissancefürsten umgab und sein Wort über Tod und Leben entschied. Von nun an war er Gefangener der Amerikaner, der Gnade oder Ungnade der Sieger ausgeliefert. Doch selbst jetzt, am Nachmittag des 7. Mai 1945, drückten ihn weder Reue noch Zweifel, wenn er an die vergangene Zeit als »treuester Paladin« Hitlers zurückdachte. Bevor er auf Einladung Stacks in dessen Wagen stieg, raunte er einem der umstehenden Offiziere zu: »Wenigstens zwölf Jahre lang anständig gelebt!«
Hermann Wilhelm Göring wurde am 12. Januar 1893 im Sanatorium Marienbad in der Nähe der oberbayerischen Stadt Rosenheim geboren. Seine Mutter Franziska Göring, geborene Tiefenbrunn, war weit gereist, um ihr viertes Kind in der Geborgenheit der bayerischen Heimat zur Welt zu bringen. Sechs Wochen später ließ sie den Säugling in der Obhut einer Freundin in Fürth zurück und verließ Deutschland in Richtung Karibik, wo ihr Mann und die übrigen Kinder auf sie warteten. Die beschwerliche Reise und die schwierigen klimatischen Bedingungen vor Ort wollte die Mutter dem Neugeborenen nicht zumuten. In den folgenden drei ersten Jahren seines Lebens bekam Hermann weder sie noch seine Geschwister, noch seinen Vater zu Gesicht. Als die Eltern ihn nach der Rückkehr zu sich holten und die Mutter sich zum ersten Mal zu ihm hinabbeugte, schlug der Dreijährige ihr mit den kleinen Fäusten ins Gesicht. Es sei dies seine erste Kindheitserinnerung, erklärte Göring später im Gefängnis dem amerikanischen Gerichtspsychologen Gustave Gilbert.
Kindheit und Elternhaus Hermann Görings wichen in vieler Hinsicht von der Norm ab. Sein Vater, Dr. Heinrich Ernst Göring, war bei der Geburt seines vierten Sohnes bereits 54 Jahre alt und hatte als deutscher Generalkonsul in Haiti die höchste und letzte Stufe seiner Laufbahn erklommen. Erst spät hatte es den promovierten Juristen in den konsularischen Dienst verschlagen, und vermutlich dürfte das Abenteurerblut, das im Sohn so reichlich floss, bereits im Vater pulsiert haben. Begonnen hatte Dr. Göring zunächst die solide Laufbahn eines richterlichen Beamten. In ihr war er bis zum Landgerichtsrat aufgestiegen, als ihn – ähnlich wie seinen Sohn
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