Göring: Eine Karriere (German Edition)
Gemäuer wurde zur Lebensaufgabe Epensteins. Im November 1897, ein Jahr nach der Übersiedlung der Görings nach Berlin, erwarb er zusätzlich zu Mauterndorf noch die verfallene Burg Veldenstein unweit von Nürnberg. Auch sie ließ er in den nächsten 16 Jahren mit großem Aufwand renovieren.
Die Burgenleidenschaft ihres reichen Gönners hatte große Folgen für die Zukunft der Familie Göring. 1898 bot Epenstein ihnen die Burg Veldenstein als neuen Wohnsitz an. Wahrscheinlich war ihm daran gelegen, die Renovierungsarbeiten in seiner Abwesenheit nicht unbeaufsichtigt zu wissen. Nicht so eindeutig sind die Gründe, die Görings Eltern bewogen, das Angebot anzunehmen und aus der Hauptstadt in die fränkische Provinz zu ziehen. Sicher war der Vorteil mietfreien Wohnens für die Großfamilie nicht zu unterschätzen, vielleicht aber überkam den Vater noch einmal die Abenteuerlust, die ihn einst dazu getrieben hatte, sich für den Kolonialdienst zu entscheiden. Von 1898 bis zu ihrer unfreiwilligen Abreise im Jahr 1912 lebten die Görings in einer mittelalterlichen Burg – der Traum eines jeden Jungen. Für Hermann Göring wurde Veldenstein die eigentliche Heimat, die Burg prägte seine Vorstellung vom standesgemäßen Wohnen, das er später in seinem pompösen Herrensitz »Carinhall« als Bauherr umsetzte. Auf den Zinnen »seiner Burg« träumte er von Rittern und Prinzessinnen, posierte als Burengeneral und Robin Hood. »Sie müssen nach Burg Veldenstein kommen«, erklärte seine Schwester Olga später, »wo er seine romantische Jugend verbrachte, die Sagen las und Ritter spielte, tagaus, tagein. Dort werden Sie ihn verstehen können.«
Weniger ritterlich und edelmütig spielte sich das Eheleben der Görings in den alten Gemäuern ab. Dr. Epenstein hatte sein Angebot nicht ohne Hintergedanken gemacht. In der Burg grenzte sein luxuriöses Schlafgemach direkt an das von Hermanns Mutter Franziska – der Gatte und die Kinder wurden diskret in einem anderen Teil des weiträumigen Gebäudes einquartiert. Weilte die Familie zu Besuch auf Schloss Mauterndorf, so musste der Generalkonsul a.D. sogar mit einem Haus abseits des Schlosses und seiner Gattin vorlieb nehmen. Mehr oder minder offiziell lebte Franziska Göring in den nächsten anderthalb Jahrzehnten als Geliebte Epensteins – unter stillschweigender Duldung ihres Ehemanns. Von dem tatkräftigen Kolonialbeamten, der Deutsch-Südwestafrika mit aufgebaut hatte, war wenig geblieben. Kränkelnd und vorzeitig gealtert, fand Hermanns Vater sich mit einem Schattendasein als gehörnter Ehemann an der Seite seiner jüngeren Gemahlin ab. Erst als die Liebe zwischen dem »Ritter« und dem »Burgfräulein« verebbte, kam es nach Zwistigkeiten zum schroffen Bruch. Im Streit mit dem einstigen Wohltäter verließ das Ehepaar Göring gemeinsam Burg Veldenstein und siedelte 1912 nach München über. Im Jahr darauf, am 7. Dezember 1913, starb Heinrich Göring und wurde auf dem dortigen Waldfriedhof begraben. Hermann Görings Mutter Franziska wohnte als Witwe weiter in München.
Oben: »Unheilvoller Einfluss«: Görings Patenonkel Epenstein (Bildmitte mit Hut) lebte dem
kleinen Hermann (links) ein feudales Leben vor
Unten: »Sie müssen nach Burg Veldenstein kommen«: Das alte Gemäuer war die Heimat
Görings in seinem ersten Lebensjahrzehnt
Bekannt geworden ist nur wenig von dem pikanten Dreiecksverhältnis zwischen Epenstein und Görings Eltern, noch weniger davon, wie ihr Sohn Hermann über dieses Verhältnis dachte. Mag er auch heimlich unter dem offenen Ehebruch der Mutter oder der stillen Duldung des kränklichen Vaters gelitten haben, seiner Bewunderung für den Patenonkel hat dies offenbar keinen Abbruch getan. Nicht der preußisch-pflichtbewusste Vater, der nur noch ein Schatten seiner selbst war, wurde zum Leitbild des Heranwachsenden, sondern der prunksüchtige Lebemann Epenstein, der die ihm durch Reichtum verliehene Macht in vollen Zügen genoss. Bis zu dessen Tod im Jahr 1934 blieb er in Kontakt mit seinem Paten und betrachtete sich als dessen eigentlichen Erben. 1938 und 1939, auf dem Höhepunkt seiner Macht, brachte er Veldenstein und Mauterndorf tatsächlich in seine Hand. »Es stammt aus dem Besitz meiner Familie«, antwortete er stolz, als die Amerikaner ihn nach der Festnahme nach der Herkunft seines Schlosses Mauterndorf befragten.
In einer Beziehung konnte man sich auf Hermann verlassen. Wenn er einen Menschen zu seinem Helden gemacht hatte, dann
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