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Götterdämmerung

Götterdämmerung

Titel: Götterdämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Böttcher
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1
    Cameron Cameron stieg pfeifend aus dem Aufzug. Die Zeitung und eine braune Brötchentüte unter den rechten Arm geklemmt, drückte er die Gittertüren zurück vor die klapprige Kabine und federte über den Flur im vierten Stock des Bürogebäudes am Hollywood Boulevard, ein Lied auf den halb geöffneten Lippen:
«In olden days a glimpse of stocking was looked on as something shocking. But now, God knows: Anything goes …»
    Er schloss die Tür zum Vorzimmer seines Büros auf, stutzte kurz und fragte sich, ob er den Schlüssel nicht vorhin zweimal im Schloss gedreht hatte, dann schob er die Tür vorsichtig auf und lugte ins Zimmer.
    Cindy Teasdale hatte seine kurze Abwesenheit genutzt, um ihren Arbeitstag zu beginnen. Unter wasserstoffblonden Wellen begrüßte sie ihn mit einem Lächeln, das breiter und roter war als eine Fleischtomate auf dem Sunset Boulevard. Während Cameron eintrat und seinen Schlüssel in die Manteltasche gleiten ließ, lächelte er erstaunt zurück.
    «Morgen, Cindy. Sie können noch keine fünf Minuten hier sein.»
    «Vier, Mr. Cameron.» Wieder das knallrote Lächeln.
    «Eben.» Cameron nickte und stellte die braune Papiertüte mit den frischen Brötchen auf den Tisch seiner Sekretärin. Er hängte Hut und Mantel an den Garderobenständer. «Und Sie haben die Post mitgenommen.»
    «Ja, Mr. Cameron. Liegt auf Ihrem Schreibtisch.»
    «Gut. Kriege ich einen Kaffee?»
    «Sofort. Das Wasser kocht gleich.»
    «Fein.»
    Cameron gönnte Cindys rundem Gesicht ein weiteres Lächeln, öffnete die halbverglaste Tür und betrat sein zum Hollywood Boulevard hin gelegenes Büro. Der
Examiner
landete nach kurzem Flug auf dem glänzenden Schreibtisch und rutschte gegen die Tagespost. Der eleganteste Detektiv von L.A. fuhr sich ordnend mit der Hand durch die kurzen, dunklen Haare und schloss dann die Tür zu seinem neben dem Büro gelegenen Privatzimmer. Er warf einen Blick auf den Kalender, der neben der Verbindungstür von der Sonne angestrahlt wurde. Unter dem Bild von Jean Harlow behauptete dieser Kalender, sein Betrachter befinde sich am vierundzwanzigsten August des Jahres 1939 in Los Angeles.
    Das war zweifellos richtig.
    Noch jedenfalls.
     
    Erasmus Weinberger durchquerte die giftig zischenden Automatiktüren des hypermodernen Gourmetcarré-Supermarktes und wurde von diversen strategisch günstig aufgehängten Lautsprechern mit einer erschütternd miserabel eingespielten Version von John Lennons «Give Peace a Chance» bombardiert. Es war Viertel nach neun, und noch waren die weißbekittelten Angestellten damit beschäftigt, einander ungehemmt den neuesten Tratsch über den Geschäftsführer und die vor kurzem eingestellte unverheiratete Lageristin zuzuraunen. Niemand beachtete den kleinen, zausköpfigen Mann im blauen Overall, auf dessen Rücken große weiße Lettern die Worte «Weinbergers Salat-Bar-Service» formten.
    Erasmus zog den Kopf ein und die Baseballkappe tiefer, ohne der Musik dadurch ausweichen zu können, wanderte zielstrebig in den hinteren Teil des Supermarktes und stellte seinen Werkzeugkasten vor der Salatbar auf den gefliesten Boden. Er betrachtete die hoffnungslos verkleisterten Dressing-Düsen und seufzte leise. Nicht einmal an seinem neununddreißigsten Geburtstag ließen ihn die bescheuerten Dinger los. Und Geburtstag hatte man schließlich nicht alle Tage – nicht nur, weil das dem Geburtstagsgedanken einiges von seinem Charme genommen hätte.
    Lustlos zog der Salatbartechniker einen der schwarzen Kippschalter mit der Aufschrift «American» nach vorn. Die Düse rotzte einen getrockneten Klumpen Kräutersoße auf die Fliesen und röchelte herzzerreißend.
    Und während Erasmus in seinem unordentlichen Werkzeugkasten nach dem passenden Spezialschlüssel kramte, fragte er sich verdrossen, weshalb der vierundzwanzigste August nicht wenigstens 2012 auf einen Sonntag hatte fallen können.
     
    Auf einem moosbewachsenen Stein am Ufer des Sees von Glanwrhydd, einem kleinen, sehr dichten Wäldchen im Südwesten des heutigen Okehampton, hockte am gleichen Tag, allerdings gut 1500  Jahre entfernt, nachdenklich der Magier Gwydiot und versuchte die Zukunft aus der Bahn der Stichlinge zu lesen, die vor seinen Füßen durch das kristallklare Wasser schossen.
    Sofern er diese Bahnen richtig deutete, also gemäß den Weisungen des einzigen Exemplars des
«Great and Utter Book of Wisdom edited by the wisest Man of All, Merlin, Magician by appointment of his Majesty the King, Artus»
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