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Jan Fabel 01 - Blutadler

Titel: Jan Fabel 01 - Blutadler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Russell
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    Hamburg-Pöseldorf,
    Mittwoch, den 4. Juni, 4.30 Uhr
      Fabel träumte.
    Hamburgs Element ist das Wasser. In Hamburg gibt es mehr Kanäle als in Amsterdam oder Venedig. Die Außenalster ist der größte städtische Binnensee Europas. Auch regnet es das ganze Jahr hindurch. In dieser Nacht - nach einem Tag, an dem die Luft wie ein feuchter, erstickender Mantel über der Stadt gelegen hatte - öffnete der Himmel seine Schleusen.
    Während das Gewitter blitzend und polternd über die Stadt zog, zuckten Fabel Bilder durch den Kopf. Die Zeit implodierte und faltete sich zusammen. Menschen und Ereignisse, die durch Jahrzehnte getrennt waren, trafen sich an einem Ort außerhalb der Zeit. Fabel träumte immer von denselben Dingen: der Unordnung des Lebens, den unverrichteten Arbeiten, den ungenutzten Möglichkeiten. Dann schoben sich die entwirrten Fäden eines Dutzends Ermittlungen in jeden Winkel seines schlafenden Hirns. In diesem Traum schritt Fabel, wie in so vielen Träumen zuvor, zwischen den im Lauf von fünfzehn Jahren Ermordeten dahin. Er kannte sie alle, jedes vom Tod gebleichte Gesicht, genau so wie sich die meisten Menschen an die Gesichter ihrer Verwandten erinnern. Die Mehrzahl der Toten, deren Mörder er gefasst hatte, nahm ihn nicht zur Kenntnis und ging vorbei. Aber die leblosen Augen derjenigen, deren Fälle er nicht gelöst hatte, musterten ihn kühl und anklagend, und die Opfer stellten ihre Wunden zur Schau.
    Die Menge teilte sich, und Ursula Kastner trat vor Fabel hin. Sie trug dieselbe elegante graue Chaneljacke wie bei dem einen, dem einzigen Mal seiner Begegnung mit ihr. Er bemerkte einen winzigen Blutfleck auf der Jacke. Der Fleck wurde größer. Das Rot vertiefte sich. Ihre blutleeren grauen Lippen formten die Worte: »Warum haben Sie ihn nicht gefasst?« Einen Moment lang war Fabel verwirrt - auf die vage, distanzierte Art, die für Träume typisch ist -, weil er ihre Stimme nicht hören konnte. Lag es daran, dass er sie nie zu ihren Lebzeiten gehört hatte? Dann begriff er: Der Grund war natürlich der, dass man ihr die Lunge herausgerissen hatte und sie keinen Atem besaß, der ihre Worte hätte tragen können.
    Ein Geräusch weckte ihn. Jenseits des Panoramafensters grollte der Donner, und Regen prasselte an die Scheiben. Dann hörte er das drängende Schrillen des Telefons. Er rieb sich den Schlaf aus den Augen und griff nach dem Hörer.
    »Hallo ...«
    »Hallo Chef ... hier ist Werner. Komm am besten her, Jan, es ist wieder passiert ...«
    Der Sturm tobte weiter. Blitze züngelten über den Hamburger Himmel und ließen die schwarzen Silhouetten des Fernsehturms und des Michels wie gemalte Bühnenkulissen erscheinen. Die Scheibenwischer von Fabels BMW waren auf maximale Geschwindigkeit eingestellt. Trotzdem hatten sie Mühe, die dicken, klebrigen Tropfen fortzuschieben, die auf dem Glas explodierten und das Licht der Straßenlaternen und der Scheinwerfer entgegenkommender Fahrzeuge in zersplitternde Sterne verwandelten. Fabel hatte Werner Meyer, der seine beträchtliche Leibesfülle nur mit Mühe auf dem Beifahrersitz unterbringen konnte, am Polizeipräsidium abgeholt. Der Geruch seines vom Regen durchnässten Mantels erfüllte das Auto.
    »Ist es wirklich unser Mann?«, fragte Fabel.
    »Nach dem zu schließen, was der Kollege von der Kripo Davidwache sagt, ja ... Sieht nach unserem Mann aus.«
    »Shit, dann ist er mit Sicherheit ein Serienmörder. Hast du die Spurensicherung angerufen?«
    »Ja.« Werner zuckte die breiten Schultern. »Leider war's der Blödmann Möller. Er wird schon da sein.«
    »Was ist mit einer E-Mail? Ist was gekommen?«
    »Noch nicht.«
    Fabel fuhr auf der Ost-West-Straße nach St. Pauli und bog in die Reeperbahn ein, die sündige Meile, die um fünf Uhr morgens freudlos im Regen glitzerte. Der Sturzregen schwächte sich zu einem dichten Nieseln ab, während Fabel in die Große Freiheit einschwenkte. Traditionelle Unsittlichkeit und importierte Banalität führten einen Krieg miteinander, und hier verlief die Front. Pornoläden und Stripclubs bestritten ein Rückzugsgefecht gegen modische Weinbars und Musicals vom Broadway oder aus dem Londoner Westend. Leuchtende Hinweise auf Live Sex, Peepshows und Hardcore Movies wetteiferten mit noch strahlenderen Anzeigen für Cats, Der König der Löwen und Mamma Mia. Aus irgendeinem Grund fühlte sich Fabel durch die Unsittlichkeit weniger gestört.
    »Hast du die Nachricht bekommen, dass ein Professor Dorn mit dir Kontakt

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