Götterdämmerung: Die Gänse des Kapitols (German Edition)
sich, das ihn irritierte. Es war beinahe … fanatisch.
»Weil wir sie bei Joyous Gard nicht vernichtet, sondern nur zurückgeschlagen haben«, dozierte er schließlich, ohne die Frau direkt anzusehen. »Das war im Übrigen mehr, als zu erwarten gewesen war. Über die Gründe ist viel geschrieben worden, aber die entscheidenden Punkte sind mittlerweile unstrittig.«
»Die Lichtbomben, nicht wahr?«
»Das war Balinas’ Idee und vermutlich ein Überraschungsmoment. Offenbar arbeiteten die visuellen Systeme der Burgons ausschließlich auf biologischer Basis. Irisblenden sind nun einmal langsamer als Polarisationsfilter. Man darf nicht vergessen, dass die Goleaner zwar begnadete Biowissenschaftler waren, aber keine Techniker. Nur werden sie den gleichen Fehler bestimmt nicht zweimal begehen.«
Die Frau nickte und nippte an ihrer Teeschale. Ihre Sitzhaltung mochte fernöstlichen Geisha-Traditionen entsprechen, für ein unbefangenes Gespräch war sie weniger geeignet. Jedenfalls kostete es Farr mehr Anstrengung, nicht dorthin zu schauen, als Miriams Fragen zu beantworten.
»Und der zweite Grund?«
»… war waffentechnischer Natur. Die Flammenwerfer der Burgons sind im freien Raum nutzlos – kein Sauerstoff, keine Flamme. Das war vermutlich auch der Grund, weshalb sie bis dahin jeder Konfrontation mit dem Militär aus dem Wege gegangen sind. Ihre Gefechtsfeldlaser hatten dagegen offenbar nur eine begrenzte Reichweite und zudem den entscheidenden Nachteil, dass sie die eigene Position verrieten – wie nach der Zerstörung des Falken. So blieb ihnen am Ende nur die Flucht.«
»Aber du glaubst trotzdem, dass sie es wieder versuchen werden?«
Für einen Moment trafen sich ihre Blicke, und Farr registrierte überrascht, wie hart ihre Züge plötzlich wirkten. Aber vielleicht war es auch nur das Spiel von Licht und Schatten – Miriam hatte im ganzen Raum Kerzen verteilt –, das diesen Eindruck hervorrief.
Welchen Grund sollte eine Frau ihres Alters auch haben, diese alten Geschichten persönlich zu nehmen?
Er wärmte sich an ihrem Lächeln und trank von seinem Tee, dessen Geschmack ihm fremdartig und vertraut zugleich erschien wie ein vergessen geglaubter Duft aus der Kindheit.
»Die gleiche Frage habe ich damals Balinas gestellt«, erwiderte er bedächtig. »Es war am Tag vor seinem Verschwinden.«
»Und?« In ihrer Stimme lag keinerlei Ungeduld, und ihre Haltung blieb vollkommen entspannt. Vielleicht maß sie der Antwort tatsächlich keine besondere Bedeutung bei, oder sie hatte sich perfekt unter Kontrolle.
Farr wusste es nicht, und das verunsicherte ihn. Die Antwort gab er trotzdem, falls das, was ihm Balinas am Vorabend des Rückzugs der Angels aus der menschlichen Einflusssphäre entgegnet hatte, überhaupt eine Antwort gewesen war:
»Er sagte etwas Seltsames: ›Achtet auf die Gänse des Kapitols.‹«
»Ich kenne die Geschichte«, sagte Miriam Katana nach einer Weile. »Aber das hilft mir nicht weiter. Möchtest du darüber sprechen?«
»Nein«, sagte Farr und zwang sich zu einem Lächeln. »Vielleicht ein anderes Mal. Ich bin ein wenig müde.«
»Das glaube ich nicht«, lächelte die Frau und beugte sich zu ihm hinüber. Mit einem seidigen Rascheln glitt der Kimono von ihren Schultern.
Sie behielt recht.
Brandspuren
Am nächsten Tag widmete sich Colonel Farr in gewohnter Weise seinen dienstlichen Obliegenheiten. Er sprach mit den Geschwaderkommandeuren, koordinierte Dienstpläne und inspizierte eines der Munitionsdepots. Später aß er im Offizierskasino zu Mittag und beteiligte sich mit ein paar belanglosen Bemerkungen am allgemeinen Small Talk. Der Nachmittag gehörte den Berichten der Flugaufklärung und der Fernortung, die nichts Erwähnenswertes enthielten. Im Grunde war es ein Tag wie jeder andere, und doch lag über allem, was er wahrnahm oder selbst tat, ein Hauch von Unwirklichkeit.
Vielleicht war er tatsächlich nur übermüdet, aber das war er schon häufiger gewesen, ohne dass es seine Dienstauffassung beeinträchtigt hätte. Mit Miriam hatte dieses Gefühl nur insoweit zu tun, dass das Gespräch mit ihr vielleicht der Auslöser war.
Farr hatte ihretwegen kein schlechtes Gewissen, obwohl sexuelle Beziehungen zu Untergebenen im Offizierskorps nicht gern gesehen wurden. Aber erstens waren alle weiblichen Militärangehörigen auf dem Stützpunkt seine Untergebenen, und zweitens arbeiteten Miriam und er nicht direkt zusammen, was eine Interessenkollision ausschloss. Es gab
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