Götterdämmerung: Die Gänse des Kapitols (German Edition)
Toten. Sie warten.«
»Worauf?«
»Dass ihnen Gerechtigkeit widerfährt – und dass es ein Ende hat.«
»Um jeden Preis?«
»Um jeden.«
Jedes ihrer Worte bestätigte Farrs Ahnungen, aber das half ihm nicht. Der Tod war nach wie vor nur eine Armlänge entfernt.
»Es ist eine Waffe, nicht wahr?«
Die Frau nickte.
»Eine starke Waffe?«
»O ja.« Sie lächelte stolz wie ein Schulmädchen, das eine besonders kluge Antwort gegeben hat.
Die Kälte in Farrs Magengrube breitete sich weiter aus.
»Sie wird gezündet, wenn meine Herzfrequenz unter dreißig Schläge pro Minute absinkt«, erklärte die Frau in sachlichem Tonfall. In ihren Augen glitzerte es verdächtig.
Was für eine gottverdammte Scheiße!, dachte Farr. Am Ende wartet sie nur darauf, dass ich mir in die Hosen mache.
Die Furcht vor dieser Blamage war seltsamerweise stärker als jede andere Emotion.
»Die Verlangsamung des eigenen Herzschlag ist übrigens für jeden Yoga-Kundigen Teil des Pranayama …«
Sie ist komplett durchgeknallt, sagte sich Farr und wunderte sich gleichzeitig, wie sehr er die dunkelhaarige Frau im verschwitzten Shirt dennoch begehrte.
Oder das Ganze ist überhaupt nur ein verdammter Bluff … Der Gedanke hatte einiges für sich, dennoch verspürte er keinerlei Neigung, es darauf ankommen zu lassen.
»Remis«, bot er an.
Miriam Katana schüttelte den Kopf.
Fasziniert beobachtete Farr, wie sie ihr Shirt abstreifte. Ihre Brustwarzen standen aufrecht und sahen sehr spitz und fest aus.
»Und jetzt?«, fragte er heiser.
»Wonach sieht es denn aus?«, entgegnete die Frau amüsiert.
Verdammt, du glaubst doch nicht, dass du damit durchkommst!, beschwerte sich der Rest von Farrs gesundem Menschenverstand.
Dann setzte er aus.
»Es ist trotzdem Wahnsinn«, sagte er später, als sie erschöpft beieinanderlagen und der Schweiß auf ihrer Haut zu trocknen begann.
Sie hatte sich an ihn geklammert, als sie seinem Drängen endlich nachgegeben und ihm ihre Geschichte erzählt hatte, als könne nur er sie davor bewahren, vom Sog der Erinnerungen zurück in die Dunkelheit gerissen zu werden.
Die Tragödie von Pegasos Forest war eine von Dutzenden, die auf dem Höhepunkt der Burgon-Angriffe auf die Außenposten der Menschheit die Öffentlichkeit erregt hatten. Doch im Unterschied zu den meisten anderen Angriffszielen war Pegasos Forest keine Nomadenstadt gewesen, sondern eine der renommiertesten Künstlerkolonien der Föderation. Finanziert von einer ebenso alten wie mächtigen griechischen Reeder-Dynastie bot sie Künstlern aus allen Kulturkreisen ein komfortables Auskommen und eine Stätte ungestörter Selbstverwirklichung.
Die mediterran gestaltete Kulturlandschaft auf der Oberfläche eines ehemaligen Asteroiden lehnte sich bewusst an antike Vorbilder an. Die terrassenförmige Anordnung der winzigen weißen Villen innerhalb weitläufiger Oliven- und Zypressenhaine verlor für die glücklichen Auserwählten schon bald alles Kulissenhafte und schuf eine eigene Wirklichkeit, die vollkommene Unabhängigkeit suggerierte. Tanita Kasuka, eine erfolgreiche japanische Bildhauerin, lebte seit Jahren dort, und so war Miriam zusammen mit ihren beiden Brüdern in einer Idylle aufgewachsen, nach der sie sich ihr Leben lang zurücksehnen sollte. Ihr Vater Christian Rilke, ein deutscher Lyriker, der seinen Lebensunterhalt mit Lesereisen verdiente, war ein gern gesehener Gast im Haus der Kasukas, mehr aber wohl nicht. Später sollte sich herausstellen, dass er auch anderenorts heimisch gewesen war.
Miriams Mutter arbeitete die meiste Zeit über in ihrem Atelier am Fuß eines Marmor-Steinbruchs, wo sie das Material für ihre Skulpturen selbst aus dem Gestein schnitt. Neben einem künstlichen Flusslauf fand sich dort auch ein ausgedehntes System unterirdischer Höhlen, die gelegentlich Schauplatz für Musikabende oder Theateraufführungen der Pegasos-Gemeinde waren. Für die Kinder waren sie – trotz elterlichen Verbots – ein begehrter Abenteuerspielplatz, Ort für ausgedehnte Versteck- und Räuber-und-Gendarm-Spiele.
Auch am Tag des Angriffs spielten Miriam und ihr kleiner Bruder Matsuto zusammen mit einem Dutzend zumeist älterer Nachbarskinder im Höhlengelände, während ihr großer Bruder Rainer ihrer Mutter im Atelier zur Hand ging. Beide verbrannten zusammen mit ihrem Vater, der gerade auf dem Weg zum Raumhafen war, und sechshundert anderen Familien im Feuersturm der Burgons, der Pegasos Forest innerhalb weniger Minuten in eine
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