64 - Der verlorene Sohn 05 - Jäger und Gejagte
ERSTES KAPITEL
Falschmünzer
Der Jude Salomon Levi besaß in der Wasserstraße nicht nur das Haus, welches er bewohnte, sondern noch mehrere, welche allerdings in ziemlich baufälligem Zustand sich befanden und an arme Leute vermietet waren, ihm aber doch sehr reichliche Zinsen der darin angelegten Kapitalien brachten.
Es war Abend. In der oberen Giebelstube eines dieser Häuser, vier schmale, hölzerne Treppen hoch, saß ein Mann bei einer spärlich genährten Lampe am Tisch und arbeitete.
Der Griffel, welchen er über die Platte führte, sagte, daß dieser Mann Graveur sei. Er war klein, bereits über fünfzig Jahre, sehr hager, hatte ein gedrücktes, leidendes Aussehen und trug eine Brille im Gesicht, unter deren blauen Gläsern zwei wimpernlose, äußerst entzündete Augen zu erkennen waren.
Er arbeitete mit sichtlicher Anstrengung und strich sich dabei so oft über die Augen, daß zu vermuten war, er fühle heftigen Schmerz in den kranken Augen.
Von Zeit zu Zeit horchte der Mann zur Seite, wo sich hinter einer nur angelehnten Tür ein oft unterbrochenes Murmeln und Seufzen hören ließ.
In der Nähe des Mannes stand ein Stuhl, auf dem ein Stickrahmen lag, ein Beweis, daß ein weibliches Wesen an seiner Seite gearbeitet habe.
Da wurde die Tür geöffnet, und eine bleiche, sehr ärmlich, aber sauber gekleidete Frau trat herein. Sie weinte.
„Wie geht es?“ fragte er leise.
„Es wird nun alle, lieber Franz. Hast du denn gar so notwendig?“
„Ich soll morgen früh fertig sein.“
„Aber der sterbenden Schwiegermutter kannst du doch ein paar Minuten schenken.“
Er legte die Platte weg und seufzte tief auf.
„Es ist nicht nur der Arbeit wegen. Aber wenn ich mit hinausgehe, muß ich weinen, und das schadet meinen armen Augen so sehr!“
Aber der gute Mann weinte schon jetzt. Die Frau sah es. Sie legte ihm den Arm um den Nacken und bat:
„Franz, komm heraus! Sie will dich noch sehen. Du weinst ja auch schon hier!“
Er stand vom Stuhl auf und folgte ihr hinaus in die Schlafkammer. Dort saßen auf Stroh an der Diele fünf Kinder, welche nicht schlafen konnten, weil die gute Großmutter sterben wollte. Diese lag mit tief eingefallenen Wangen und Schläfen in ihrem ärmlichen Bett. Man sah es ihr an, daß der Tod bereits an die Tür klopfte.
Als sie den Schwiegersohn erblickte, ging ein befriedigtes Lächeln über ihr Gesicht.
„Wie gut von Ihnen, daß Sie kommen“, sagte sie langsam und leise. „Ich muß Sie und Ihre Kleinen verlassen, die ich so gern noch gewartet und gepflegt hätte, damit meine Tochter ungestört arbeiten kann. Aber der liebe Gott will mich hinauf zu sich haben, und da oben werde ich ihm sagen, was für ein guter Mann und Vater und Schwiegersohn Sie sind. Ich werde ihn bitten, Ihnen Ihre Gesundheit und Ihr Augenlicht wiederzugeben. Er wird mir es sicherlich zu Gefallen tun. Jetzt aber haben Sie tausend Dank für alles, was sie an mir alten Frau getan haben!“
Er stand dabei mit überströmenden Augen und konnte nichts sagen. Seine Frau lehnte weinend an der Wand, und die Kleinen hielten sich umschlungen und weinten auch, aber leise, ganz leise; denn sonst mußte Vater noch mehr weinen, und dann taten ihm ja die Augen so sehr weh.
„Sie sind uns immer eine große Hilfe und Stütze gewesen, liebe Schwiegermutter“, klagte er halblaut. „Sollte ich Sie einmal gekränkt haben, so vergeben Sie es mir. Mit Absicht ist es sicherlich nicht geschehen!“
Und nun war es aus. Er konnte nicht länger an sich halten. Er weinte laut auf und eilte in die Stube zurück, wo er sich traurig an die Fensterwand lehnte. Draußen hörte er Frau und Kinder schluchzen und dazwischen die Stimme der Sterbenden, welche zu beruhigen suchte. Als er sich wieder in der Gewalt zu haben vermeinte, ging er wieder hinaus.
„Lieber Franz“, sagte die Frau. „Hast du den Zettel mit dem schönen Lied noch?“
„Ja.“
„Die Mutter möchte es gern noch einmal hören.“
Er holte den Zettel und setzte sich auf den unteren Bettrand. Die Frau hatte die beiden Hände der Mutter ergriffen. Die Kinder falteten die Händchen, der Vater wischte sich noch einmal die Augen und las dann die herrlichen Strophen Geroks:
„Ich möchte heim. Mich zieht's dem Vaterhause,
Dem Vaterherzen zu,
Fort aus der Welt verworrenem Gebrause,
Zur stillen, tiefen Ruh.
Mit tausend Wünschen bin ich ausgegangen;
Heim kehr ich mit bescheidenem Verlangen.
Noch hegt mein Herz nur einer Hoffnung Keim:
Ich möchte heim!
Ich
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