Göttin der Rosen
Entschuldigen Sie, ich dachte, es ist die Bedienung.«
Die sensationellen blauen Augen der alten Frau blitzten. »Man hat mich schon sehr lange nicht mehr mit einem jungen Mädchen verwechselt.«
Mikki lächelte, und einen Moment fühlte sich das Lächeln sogar echt an. »Möchten Sie sich zu mir setzen?«
»Ja, gern.« Die alte Frau ließ sich anmutig in dem Sessel neben Mikki nieder und zupfte den hellblauen Pashmina-Schal zurecht, der um ihre Schultern geschlungen war.
»Ich wusste überhaupt nicht, dass Sie hier wohnen.« Wie bei ihrer ersten Begegnung fühlte Mikki sich ein wenig eingeschüchtert von der Präsenz dieser Frau. Sie war einfach so beeindruckend – auf alteuropäische Art. Alles, was sie tat oder sagte, wirkte elegant und kultiviert. Und dann erinnerte Mikki sich schlagartig, und noch während es ihr einfiel, wunderte sie sich, dass sie es jemals hatte vergessen können. »Das Parfüm! Woher hatten Sie eigentlich das Parfüm, das Sie mir an dem Abend damals gegeben haben?«
Sevillana lächelte, aber im gleichen Moment brachte die Kellnerin den Kaffee und die Kekse. Auch als sie wieder allein waren, ließ Sevillana sich viel Zeit damit, den groben Zucker in ihren Cappuccino zu löffeln und gründlich umzurühren, bevor sie weitersprach.
»Es gibt nur einen einzigen Ort, wo man solch ein Parfüm findet, und der liegt sehr weit von hier entfernt.«
Ein schwindelerregendes Gefühl überwältigte Mikki, eines, das sie seit drei Monaten vermisste – Hoffnung. »Sie sprechen vom Reich der Rose.«
Die alte Frau nickte leicht.
»O Gott«, stieß Mikki hervor.
»Ich glaube, es wäre angemessener, wenn Sie ›O Göttin‹ sagen würden.«
»Wie? Woher wissen Sie von diesem Reich? Wie sind Sie hingekommen, und wie kann ich dorthin zurück? Was machen Sie hier? Warum haben Sie …?«
Sevillana hob die Hand und unterbrach Mikkis Redeschwall.
»Alles hat seine Ordnung und seine Zeit. Mich mit Fragen zu überhäufen ändert daran nichts.«
»Entschuldigung.« Mikki drückte die Hand aufs Herz, weil sie befürchtete, es könnte ihr aus der Brust springen. »Ich wollte doch nur – ich muss nur wissen …« Mit zitternden Händen fuhr sie sich übers Gesicht und begann noch einmal von vorn. »Ich muss zurück.«
»Ich weiß, mein Kind«, erwiderte Sevillana leise. »Ich weiß.« Dann schaute die alte Frau an Mikki vorbei ins Leere, und als sie weitersprach, erinnerte ihre Stimme an ein trauriges kleines Mädchen. »Hat niemand meinen Namen erwähnt, während Sie dort waren? Hat man sich überhaupt nicht mehr an mich erinnert?«
»Ihren Namen? Nein. Warum sollte man …« Auf einmal wurden Mikkis Augen groß, denn nun begriff sie endlich. »Sie sind es. Sie sind die letzte Empousa.«
»Nein, ich war Empousa. Ich bin nicht mehr Hekates Hohepriesterin. Ich habe die Stellung aufgegeben, weil ich jung und dumm war. Aber ich habe für meinen Verrat teuer bezahlt. Zweihundert Jahre war ich von meinem Reich und meiner Göttin getrennt und bin in der gewöhnlichen Welt umhergewandert, rastlos und unerfüllt – eine wahre Außenseiterin.«
»Zweihundert Jahre!« Mikki konnte sie nur anstarren. »Aber wie ist das möglich?«
»Das habe ich selbst nie ganz verstanden. Offensichtlich werde ich zwar älter, aber nur sehr langsam. Anfangs dachte ich, das wäre Hekates Methode, mich zu bestrafen – mein Leben so auszudehnen, damit ich reichlich Zeit hätte, meine Selbstsucht zu bereuen. Dann habe ich auf meinen Reisen vor ein paar Jahrzehnten Tulsa besucht und war zufällig bei der Eröffnung der Rosengärten zugegen …« Sie hielt inne, und ihr Gesicht nahm einen schmerzlichen Ausdruck an. »Ich habe die Statue des Wächters erkannt und wusste, es musste einen Grund dafür geben, dass sie hier aufgestellt worden war, deshalb bin ich immer wieder nach Tulsa zurückgekehrt, habe gewartet und beobachtet. Und dann bin ich Ihnen begegnet, und ich begann zu hoffen, dass Hekate mir vielleicht aus einem anderen Grund erlaubt hat, so lang zu leben.« Sevillanas blaue Augen richteten sich wieder auf Mikki. »Ich hoffte, es wäre der Wunsch der Großen Göttin, dass ich Ihnen das Salböl gebe, damit Sie den Wächter auferwecken und ihn dem Reich zurückgeben können – und das Schicksal erfüllen, das ich unvollendet zurückgelassen habe.« Trauer erfüllte die schönen Augen der Frau. »Warum haben Sie den gleichen Fehler gemacht wie ich? Ich wollte nicht, dass Sie weglaufen.«
»Aber ich bin doch nicht
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