Goldener Reiter: Roman (German Edition)
Autobiografie. Es ist kein Sachbuch. Es hat einen explizit literarischen Zugriff auf das Thema. Es wählt seine Form und seine Mittel, es abstrahiert, es reduziert Komplexität, es verdichtet, komprimiert das ehemals Wirkliche zu Kunst und es lässt Dinge weg.
Ich habe damals auch gelogen, um die zu schützen, die unmittelbar von der Geschichte, die ich erlebte, die sie erlebten, betroffen waren. Und sind. Um mich zu schützen. Um sie zu schützen. Ich bin ein literarischer Autor, ich habe andere Bücher geschrieben und ich werde wieder andere Bücher schreiben als dieses, das besonders nah an meinen persönlichen Gründen schürft. Ich werde wieder Figuren und Gegenstände wählen, die zwar ich sind, aber mehr in einem vorgestellten Sinne. Wie sich verkleiden auf dem Dachboden. Diese Verkleidung hier ist eigentlich keine. Ich hatte vor etwas über zehn Jahren den Koffer mit den alten Kleidern aufgemacht, die ich trug, als ich zehn, zwölf Jahre alt war. Ich habe meine wirkliche Welt beschrieben. Ich habe mich dabei erinnert und wieder erlebt und sicherlich etwas verarbeitet. Ein Verarbeitungsbuch, peinlich. Und meine Welt ist dabei zu einer virtuellen Welt, einer Nicht-Welt geworden. Zu Fiktion.
60 % aller Kinder psychisch kranker Eltern entwickeln im Laufe ihres Lebens ebenfalls eine psychische Störung, las ich kürzlich. Innerhalb der Allgemeinbevölkerung sind es etwa 20 %. Ich glaube, dass der Schlüssel zu psychischer Gesundheit vor dem Hintergrund solcher Erfahrungen in Transparenz und Bindung liegt. Liebe und Offenheit, eine Sprache für das, was geschieht. Trotz des Misstrauens, des Ärgers, der Scham und der Hilflosigkeit gibt es Liebe zwischen Frau Fink und ihrem Sohn. Und bei allem Gestotter findet diese Mutter innerhalb des sprachlosen Umfelds doch noch Worte für die Katastrophe und kann ihrem Sohn sagen, dass sie krank ist. Und deshalb braucht er es nicht zu werden. Am Ende können die beiden zu Silvester vom Tisch springen. Mit der Frage nach der Widerstandskraft, warum einige krank werden und andere nicht, beschäftigt sich die Resilienzforschung. Man kann durch einen Hundehaufen gehen und muss trotzdem nachher nicht die Schuhe in die Tonne werfen, um noch ein Bild des Romans zu benutzen. Allerdings muss man die Kacke mit dem Stöckchen aus den feinen Rillen der Turnschuhsohle kratzen, was auch nicht schön ist. Ich habe Glück gehabt.
Deshalb stelle ich dieses Buch noch einmal hinaus in die Welt. Und ich hoffe, dass es diesmal gezielter seinen Weg finden kann zu jenen, die noch keine Sprache und keine Offenheit erleben und denen dieses Buch deshalb vielleicht etwas nützen kann. Das würde mich freuen.
Ich möchte mich bei folgenden Personen bedanken, die mich auf dem Weg zu diesem Buch und zu dieser Haltung unterstützt haben: Sigrid Behrens, Arne Wendtland, Sven Amtsberg, Tina Uebel, Benjamin Maack, Sascha Bunz, Dr. Frank Wistuba und Evelin Gottwalz-Itten. Mein besonderer Dank gilt dem mairisch Verlag für sein Vertrauen, insbesondere Daniel Beskos, Peter Reichenbach und Stefanie Ericke-Keidtel. Und meiner Familie. Danke.
Michael Weins, April 2013
Michael Weins
Michael Weins
*1971, lebt als Autor und Psychologe in Hamburg. Er ist Mitbegründer der Literaturclubs Machtclub und Schischischo . Er veröffentlichte außerdem die Romane Lazyboy (2011) und Delfinarium (2009) sowie die Erzählbände Krill (2007) und Feucht (2001).
www.michaelweins.de
Impressum
[mairisch 40]
Neuausgabe, 1. Auflage, 2013
© mairisch Verlag 2013
www.mairisch.de
Umschlaggestaltung: Carolin Rauen | www.carolinrauen.com
Autorenfoto: Tanja Bächlein | www.bachlein.de
Alle Rechte vorbehalten
Printed in Germany
ISBN der Buch-Ausgabe: 978-3-938539-28-6
ISBN der E-Book-Ausgabe: 978-3-938539-90-3
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