1399 - Ich, der Henker
»He, erkennst du meine Stimme?«
Justine Cavallo, die blonde Bestie, brauchte nicht lange nachzudenken. Sie öffnete ihren Mund so weit, dass die beiden Vampirzähne sichtbar wurden, dann sagte sie: »Wer sollte deine Stimme je vergessen können, Mallmann?«
»Oh, danke für das Kompliment.«
Justines Stimmlage veränderte sich. »Komm zur Sache, Will. Du rufst doch nicht an, um mir einen guten Tag zu wünschen.«
»Nein.«
»Aber deine Wölfe sind nicht mehr bei dir?«
»Davon weißt du auch?«
»Es spricht sich herum. Du hattest die Wölfe unter deine Kontrolle gebracht und damit in Rumänien Marek, den Pfähler, bedroht.«
»Du weißt also Bescheid, Justine. Dann weißt du auch, dass du wieder mit mir rechnen kannst.«
»Ich habe es schon befürchtet«, gab sie zu. »Ich hätte mir dein Schicksal auch anders vorstellen können.«
Der Supervampir Mallmann kicherte. »Das glaube ich dir, aber deine Freunde haben es nicht geschafft, mich zu vernichten.«
»Richtig. Aber du hast sie auch nicht geschafft. Sie sind aus Rumänien entkommen. Selbst Glenda Perkins ist dir entwischt. Marek lebt auch noch, und von John Sinclair müssen wir erst gar nicht sprechen. Es hat sich also im Prinzip nichts verändert.«
»Dir wäre es lieber gewesen, sie hätten mich vernichtet, was?«
Die Cavallo lachte. Sie stand von ihrem Stuhl auf und näherte sich dem Fenster. Dort blickte sie nach draußen. Hinter der Scheibe lag die Dunkelheit. Wolken bewegten sich am Himmel. Weiter im Norden, an den Küsten und auch in den ländlichen Gebieten hatte es bereits erste Überschwemmungen gegeben, die natürlich nicht mit denen in Asien zu vergleichen waren, aber das interessierte eine Unperson wie die Cavallo auch nicht. Sie kannte kein Mitleid mit den Menschen, weil sie selbst kein Mensch war.
»Willst du mir nicht antworten?«, hörte sie wieder die Stimme des Blutsaugers.
»Du vergisst, Will, dass ich es war, der dich aus den Flammen des Scheiterhaufen gerettet hat, als die Hexen der Assunga dich verbrennen wollten.« [1]
»Das weiß ich. Und dafür bin ich dir dankbar. Aber du willst trotzdem allein dastehen, richtig?«
»Richtig, Will.«
»Aber ich habe Pläne.«
»Die mich nicht interessieren«, erklärte Justine.
»Das würde ich nicht so sagen. Wir haben mehr Gemeinsames als Trennendes. Wir sind beide nicht akzeptiert. Die Welt will keine Vampire. Aber wir wollen die Welt.«
»Ich weiß, wie du denkst.«
Mallmann gab nicht auf. »Du könntest mitmachen, Justine. Für dich ist immer ein Platz an meiner Seite. Ja, du hast mich gerettet, als Assunga mich verbrennen wollte, darum werde ich auch vergessen, dass du dich mit bestimmten Leuten verbündet hast.«
Justine drehte sich wieder um. Sie nahm ihren alten Platz ein.
»Okay, Mallmann, du hast also Pläne. Doch die habe ich auch. Meine eigenen. So einfach ist das. Und ich denke, dass unser beider Pläne nicht zusammenpassen. Nimm es einfach hin.«
»Aber meine sind besser!«
Justine hatte die Veränderung in seiner Stimme nicht überhört.
Eine gewisse Wut hatte darin mitgeklungen, was sie sogar verstehen konnte. Früher waren sie Verbündete gewesen. Sie hatten auch mit anderen dämonischen Geschöpfen einen Pakt geschlossen, um ihre eigene Macht zu festigen. Doch dann waren beide ihre eigenen Wege gegangen, und Justine Cavallo hatte sich sogar bei einem Menschen einquartiert. Sie wohnte bei der Detektivin Jane Collins, die eigentlich eine Feindin war und deren Blut ihr sicherlich gemundet hätte. Aber ihre ›Nahrung‹ besorgte sich Justine woanders.
Sie wollte kein Werkzeug des Supervampirs Will Mallmann, alias Dracula II mehr sein. Sie wollte ihren eigenen Weg gehen, und sie fühlte sich wohl, seit sie bei Jane und unter den Menschen lebte.
»Woher weißt du denn, dass deine Pläne besser sind, Will?«
Dracula II lachte. »Weil ich besser bin.«
Die Antwort überraschte Justine nicht mal. Mallmann hatte sich schon immer überschätzt. Das war auch jetzt der Fall und würde so bleiben. Sehr weit gekommen war er damit nicht. Er hatte seine Vampirwelt an den Schwarzen Tod verloren. Jetzt war der Schwarze Tod vernichtet, er würde nicht mehr zurückkehren, deshalb ging Justine davon aus, dass sich Mallmann seine Welt zurückholen wollte.
»Du wirst es nicht schaffen!«, erklärte sie.
»Was schaffe ich nicht?«
»Dir deine verdammte Vampirwelt wieder zurückzuholen. Nein, das ist unmöglich.«
Er kicherte. »Irrtum, Justine, Irrtum. Ich bin bereits
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