Golem stiller Bruder
ich, als ich an unseren staubigen, von spitzen Zweigen und Dornen zerrissenen Kleidern hinunterschaute, die grau waren von Staub und Erde. Die letzten Tage hatten ausgereicht, uns das Aussehen irgend welcher hergelaufener Bettelkinder zu verleihen. Ich schämte mich dafür, doch zugleich machte es mich zornig. Heftiger, als ich es gewollt hatte, zog ich Rochele hinter mir her, und als sie protestierte, fuhr ich sie an, sie solle sich bloß nicht aufführen wie eine hochgeborene Dame mit Samtfüßchen.
Ich bog in eine gepflasterte Gasse ein, die mir vornehm genug erschien, dass ein berühmter Rabbi* darin wohnen könne. Rochele torkelte neben mir her, sie war erschöpft von dem langen Marsch und hing allmählich so schwer an meiner Hand wie ein Sack Mehl. Sie tat mir leid, aber ich war am Ende meiner Kräfte, ich konnte sie nicht mehr tragen.
D er Junge blieb stehen, er wusste nicht mehr weiter, und langsam senkte sich die Dämmerung über die Stadt. Höflich, wie seine Tante Schejndl es ihn gelehrt hatte, wandte er sich schließlich an einen Wasserträger, einen schmächtigen Mann, der ebenso abgerissen aussah wie seine Schwester und er, wünschte ihm Frieden und fragte ihn, ob er ihm sagen könne, wo Rabbi Juda Lejb wohne.
Der Mann nahm sich die Stange, an der seine Eimer hingen, von den Schultern und wischte sich den Schweiß von der Stirn, bevor er den Jungen anschaute. »Wer? Was für einen Rabbi meinst du?«, fragte er mit einer langsamen, schweren Stimme und fügte grinsend hinzu: »Ihr müsst wissen, in der Prager Judenstadt leben mehr Rabbiner als Flöhe in meinem Bett.«
»Rabbi Juda Lejbben Bezalel«, sagte der Junge. »Der Wunderrabbi.«
Der Spott verschwand aus dem Gesicht des Mannes. »Ach, du meinst den Hohen Rabbi Löw, er möge leben und gesund sein«, sagte er. »Ja, natürlich weiß ich, wo er wohnt. Das weiß in Prag jeder. Sogar die Christen«, er spuckte über seine linke Schulter, »wissen das.«
Sein Kopf wackelte auf einem dünnen Hals und seine Zunge war zu lang, sie rutschte ihm beim Sprechen immer wieder zwischen die Zähne, was ihm das Aussehen eines Mannes verlieh, der nicht ganz richtig im Kopf war. Der Junge senkte die Augen, um zu verbergen, dass er diesen Makel bemerkt hatte, und um zu vermeiden, dem Mann auf den Mund zu starren, denn das durfte man nicht tun. Er meinte Tante Schejndls Stimme zu hören, die sagte: Wenn ein Mensch mit einem Makel oder einem Gebrechen behaftet ist, dann hat es der Ewige so gewollt. Es steht uns nicht an, uns darüber lustig zu machen, denn ein jeder, hörst du, Jankel, ein jeder ist nach seinem Bild erschaffen, so steht es geschrieben. Der Junge hob den Kopf und sagte erklärend: »Der Rabbi ist unser Großonkel.«
Der Mann musterte den Jungen neugierig, dann ließ er den Blick über das Mädchen gleiten, das sich an die Hand des Bruders klammerte, als fürchte sie, von dem plötzlich aufkommenden Wind weggeweht zu werden. »Der Ewige, gelobt sei er, meint es gut mit euch, wenn er euch solch einen Großonkel schenkt«, sagte er. »Die Wege des Herrn sind unerforschlich, dem einen läuft schon bei der Geburt das Fett aus dem Maul, dem anderen schiebt er ein Leben lang nur Sand zwischen die Zähne, für den einen verwandelt er sogar Pferdeäpfel in Gold und den anderen lässt er auch noch sein letztes bisschen Verstand verlieren. Aber wer bin ich, dass ich mit ihm rechten dürfte?« Er betrachtete die Kinder noch einmal, dann lud er sich seine Last wieder auf. »Nun ja, ihr seht nicht so aus, als würde euch das Fett aus dem Maul rinnen. Also kommt, ich bring euch hin, zu eurem Onkel.«
Er führte sie durch mehrere Gassen, und einmal deutete er von weitem auf ein Haus und sagte: »Schaut, dort hinten wohnt Reb* Mordechaj Meisl, der reichste Jude der Stadt. Seine Taler werfen Junge wie die Mäuse des Müllers nach einer reichen Ernte. Aber man sagt, er sei trotzdem ein gottesfürchtiger und freigiebiger Herr. Der Himmel bewahre uns vor dem grünen Neid, aber ein bisschen von Reb Meisls Glück hätte er auch an uns verteilen können.« Er hustete, und als sich sein Atem beruhigt hatte, bog er in eine andere Gasse ein. Inzwischen war es tatsächlich dunkel geworden. Plötzlich sprang eine riesige Katze aus einem Durchgang und stellte sich ihnen fauchend und mit einem krummen Buckel in den Weg. Das Mädchen erschrak und drängte sich schutzsuchend an ihren Bruder.
Vor einem schmalen, leicht nach vorn geneigten Haus blieb der Wasserträger stehen und
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