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Golem stiller Bruder

Golem stiller Bruder

Titel: Golem stiller Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirjam Pressler
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schwarzen, tosenden Welt war und vielleicht gerade jetzt an uns dachte. »Pass auf deine kleine Schwester auf, Jankel«, hatte er gesagt, als er vor drei Monaten mit seinem Karren voller Bücher losgezogen war, »pass gut auf sie auf, du bist mir und dem Ewigen, gelobt sei er, für sie verantwortlich, solange ich nicht zu Hause bin. Vergiss das nie.«
    Der Gedanke an meinen Vater schnürte mir die Kehle zu, und ich schnappte nach Luft, als wäre ich zu lange gelaufen. Aber das war ich ja auch, von Mo ř ina bis hierher, und die meiste Zeit mit Rochele auf dem Rücken oder über der Schulter, weil der Weg für ihre kurzen Beinchen einfach zu lang und zu schwer war. Wir waren nur durch die Wälder gegangen, wir hatten die Landstraße gemieden, wie Tante Schejndl gesagt hatte. Meidet die Landstraßen, die sind gefährlich. Auf Landstraßen treibt sich zu viel Gesindel herum.
    Das Mädchen wimmerte im Schlaf wie ein neugeborenes Zicklein, und ich bückte mich, hob sie hoch und nahm sie auf den Arm. Sie schlief noch, das hörte ich an ihren gleichmäßigen Atemzügen. Ab und zu zuckten ihre Glieder, als wäre ein Dibbuk 2) in sie gefahren oder als müsse sie im Traum vor etwas weglaufen. Ich strich ihr mit der Hand über den Rücken. »Rochele«, flüsterte ich leise, um die bösen Waldgeister hinter uns nicht auf uns aufmerksam zu machen, »Rochele, aufwachen, wir sind gleich in Prag.«
    2) Mit einem Sternchen gekennzeichnete Wörter sind im Glossar am Ende des Buches kurz erklärt.
    Sie war sofort wach, rutschte aus meinen Armen und stand auf ihren eigenen Füßen.
    »Türme«, sagte sie mit einer andächtigen Stimme. »Lauter Türme. Lauter brennende Türme.«
    W ährend die beiden Kinder die Hänge hinuntertorkelten, schwankend wie Holzfäller, die in der Schänke zu viel Branntwein getrunken haben, veränderte sich die Welt um sie herum, der Himmel im Westen wurde rot, als stünde er in Flammen, und der Widerschein fiel auf die Stadt vor ihnen. Die Flammen zuckten durch den Körper des Jungen und ließen ihn, trotz seiner noch immer feuchten Kleidung, erglühen vor Freude und Erleichterung. Die Flammen zeigten sich auch auf dem Gesicht seiner kleinen Schwester und malten rote Flecken auf ihre Wangen, als wäre sie von einem plötzlichen Fieber befallen worden. Erschrocken berührte er ihre Stirn, aber die war ganz kühl.
    Sie betraten die Stadt durch ein Tor, dessen Mauern so dick waren, dass sie viele Schritte gehen mussten, um den hellen Ausgang zu erreichen. Staunend blieben sie stehen und schauten sich um. So viele Häuser hatten sie noch nie in ihrem Leben gesehen, hohe Häuser, dicht zusammen gedrängt, als müssten sie sich gegenseitig stützen, um nicht umzufallen. Sie hatten auch noch nie so viele Menschen gesehen, so viele Händler, Hökerweiber, Bettler und feine Herrschaften in Kutschen, mit livrierten Dienern auf dem Bock, die mit der Peitsche knallten und »Platz da!« und »Aus dem Weg!« riefen. Die Menschen sprangen zur Seite, und die Fuhrwerke rammten mit ihren hölzernen Rädern fast die Hauswände bei ihrem Bemühen, die feinen Kutschen vorbeizulassen.
    Vor einer Schänke spielten zwei Fiedler eine lustige Melo die, Leute standen um sie herum und hörten ihnen zu, manche klatschten im Takt und ein paar Kinder hüpften im Kreis und sangen mit. Das Mädchen wollte ebenfalls zuhören, sie lachte und machte ein paar ungeschickte Luftsprünge, aber ihr Bruder packte sie an der Hand und zog sie unerbittlich weiter.
    Sie bogen um eine Ecke und landeten auf einem kleinen Platz, auf dem die Händler gerade ihre Waren zusammenpackten, Kohl, Hülsenfrüchte, Obst, Schinken und fette Würste. Zwei Hunde stritten sich knurrend und bellend um die Abfälle, die ein Metzger auf den Boden geworfen hatte, sie fletschten die Zähne und sahen so gefährlich aus, dass die Kinder ihnen auswichen und in einem großen Bogen an ihnen vorbeigingen.
    Ein Apfel fiel aus einer Kiste und rollte über das Pflaster. Der Junge schaute sich hastig um, bückte sich und ließ den Apfel in seiner Tasche verschwinden, bevor der Händler seinen Verlust überhaupt bemerkte, und zog seine Schwester hinter sich her in eine Seitenstraße. Dort setzten sich die Kinder auf den Boden und aßen, mit dem Rücken an eine Hauswand gelehnt, gierig den Apfel. Er war köstlich. Immer abwechselnd nahmen sie einen Bissen und ließen außer dem Stiel nichts übrig. Den ganzen Tag lang hatten sie nur ein paar Beeren zwischen die Zähne bekommen. Morgens

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