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Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Titel: Golem und Dschinn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Wecker
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er sich von den Papieren ab, nahm ein altes ledergebundenes Buch in die Hand und blätterte darin. Er fuhr mit dem Finger über eine Seite und las etwas. Schließlich blickte er zu Rotfeld.
    »Kommen Sie morgen wieder«, sagte er.
    Als Rotfeld am nächsten Tag klopfte, öffnete Schaalman sofort. »Wie viel können Sie zahlen?«, wollte er wissen.
    »Dann können Sie es also machen?«
    »Beantworten Sie meine Frage. Das eine entscheidet über das andere.«
    Rotfeld nannte eine Summe. Der alte Mann schnaubte. »Die Hälfte mehr, mindestens.«
    »Aber ich habe fast nichts mehr!«
    »Betrachten Sie es als Schnäppchen«, sagte Schaalman. »Denn steht nicht geschrieben, dass ein tugendsames Weib edler ist als Perlen? Und ihre Tugendhaftigkeit«, er grinste, »garantiere ich Ihnen!«
    Drei Tage später brachte Rotfeld das Geld in einer großen Tasche. Am Ufer des nahen Flusses war ein frisches Loch ungefähr von der Größe eines Menschen ausgehoben. Ein lehmbeschmierter Spaten lehnte an einer Mauer.
    Ein zerstreut dreinblickender Schaalman öffnete die Tür, als wäre er in einem entscheidenden Moment gestört worden. Lehm klebte an seinen Kleidern und hatte sich in seinem Bart verfangen. Er sah die Tasche und nahm sie Rotfeld kurzerhand ab.
    »Gut«, sagte er. »Kommen Sie in einer Woche wieder.«
    Bevor die Tür zuschlug, konnte Rotfeld noch einen Blick in die Hütte werfen und sah auf dem Tisch Teile einer dunklen Gestalt liegen – einen schlanken Torso, roh geformte Gliedmaßen und eine Hand mit eingezogenen Fingern.

    »Wie hätten Sie die Frau denn gern?«, fragte Schaalman.
    Dieses Mal ließ er Rotfeld in die Hütte. Das Innere wurde beherrscht von dem Tisch, den Rotfeld schon einmal kurz gesehen hatte, und der junge Mann konnte nicht umhin, verstohlen Blicke auf die daraufliegende Gestalt zu werfen: eine Gestalt in menschlicher Form, bedeckt mit einem Laken. Er sagte: »Wie meinen Sie das, wie ich die Frau
gern hätte

    »Ich erschaffe eine Frau für Sie und habe angenommen, dass Sie ein Wörtchen mitreden wollen.«
    Rotfeld runzelte die Stirn. »Mir gefällt eine hübsche Figur, ich –«
    »Nicht ihre körperlichen Eigenschaften, noch nicht. Ihr Temperament. Ihr Wesen.«
    »Das können Sie auch festlegen?«
    »Ja, ich glaube, das kann ich«, sagte der alte Mann stolz. »Zumindest kann ich bestimmte Richtungen vorgeben.«
    Rotfeld dachte nach. »Ich möchte, dass sie gehorsam ist.«
    »Das ist sie sowieso«, sagte Schaalman ungeduldig. »Ein Golem ist ein Sklave Ihres Willens. Was immer Sie ihr befehlen, wird sie tun. Sie will es auch gar nicht anders.«
    »Gut«, sagte Rotfeld. Aber er war ratlos. Nachdem ihr Aussehen und Gehorsam erledigt waren, wusste er nicht recht, was er sich sonst wünschen sollte. Er wollte es schon Schaalman überlassen, das zu tun, was er für das Beste hielt – doch dann erinnerte er sich plötzlich an seine kleine Schwester, das einzige Mädchen, das er jemals wirklich gekannt hatte. Sie war ungemein neugierig gewesen, eine Last für ihre Mutter, weil sie ständig um sie herumwuselte und Fragen stellte. In einer seltenen Anwandlung von Großzügigkeit hatte der junge Otto sie unter seine Fittiche genommen. Gemeinsam waren sie ganze Nachmittage durch die Wälder gestreift, und er hatte ihr Antworten auf alle Fragen gegeben. Als sie zwölf Jahre alt war, ertrank sie an einem Sommernachmittag im Fluss, und Otto Rotfeld verlor den einzigen Menschen, der ihm im Leben wirklich etwas bedeutet hatte.
    »Sie soll neugierig sein«, sagte er zu Schaalman. »Und intelligent. Ich mag keine dummen Frauen. Und oh«, fuhr er fort, da er an seiner Aufgabe wuchs, »sie soll anständig sein. Nicht … unzüchtig. Eine richtige Dame.«
    Die Augenbrauen des alten Mannes schossen in die Höhe. Er hatte erwartet, dass sein Kunde mütterliche Güte oder einen gesunden sexuellen Appetit oder beides verlangen würde; die jahrelange Produktion von Liebeszaubern hatte ihn gelehrt, was Männer wie Rotfeld von Frauen wollten. Aber Neugier? Intelligenz? Er fragte sich, ob der Mann wusste, was er verlangte.
    Aber er lächelte nur und spreizte die Finger. »Ich werde es versuchen«, sagte er. »Das Ergebnis wird vielleicht nicht genau so sein, wie Sie es wünschen. Mit Lehm sind die Möglichkeiten begrenzt.« Dann verdüsterte sich seine Miene. »Aber vergessen Sie nicht. Das eigentliche Wesen so eines Geschöpfs kann nur geringfügig verändert werden. Sie wird immer ein Golem bleiben. Sie wird die Kraft

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