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Gondeln aus Glas

Gondeln aus Glas

Titel: Gondeln aus Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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dritte zu erkennen. Nach zwei Schritten blieb Potocki stehen und drehte sich um.

    Die Blendlaterne in seiner Hand schwankte und warf zuckende Schatten auf sein Gesicht. Selbst hier, im Inneren der Wohnung, war die Luft erfüllt vom rauschenden Prasseln des Regens.
    Potocki musste die Stimme heben, als er sagte:
    «Warten Sie einen Moment, Commissario.»
    «Warum?»
    Potocki lachte kurz auf, wahrscheinlich, um seine Nervosität zu kaschieren. «Weil ich vorher ein paar Kerzen für Sie anzünden möchte.»
    Er ging weiter, öffnete die Tür am Ende des Flurs und schloss sie wieder bis auf einen schmalen Spalt.
    Dann sah Tron, wie sich der Lichtschein hinter der angelehnten Tür verstärkte. Schließlich rief Potocki nach ihm, und er setzte sich in Bewegung.
    Tron betrat den Raum – ein überraschend kleines, mit gelblicher Seide ausgeschlagenes Gelass –, und das Erste, was er sah, war der Tizian. Das Gemälde stand, an die Wand gelehnt, auf der Marmorplatte eines Konsoltisches, eingerahmt von zwei Kandelabern und zusätzlich beleuchtet von einem halben Dutzend Kerzen, die Potocki auf der Tischplatte entzündet hatte. Vor dem Tisch, elegant wie ein Fasan in der Auslage eines Fleischers und in die Hausjacke aus rotem Samt gekleidet, in der Tron ihn zum letzten Mal gesehen hatte, lag Troubetzkoy. Der Schuss, der ihn getötet hatte, schien ihn auf den Rücken geworfen zu haben. Seine rechte Hand hielt einen schweren Armeerevolver umklammert, und seine Augen starrten an die Decke. Ein leichter Korditgeruch lag in der Luft und vermischte sich mit dem Duft der Wachskerzen. Potocki bückte sich und hatte auf einmal Troubetzkoys Revolver in der Hand. Der Lauf der Waffe blitzte auf, als er ihn auf Tron richtete. Potockis kurzes Lachen klang wie ein Grunzen, und einen Moment lang hüpfte der Revolver wie ein Frosch in seiner Hand.

48
    Tron schloss die Augen. Er konnte seinen Puls in den Schläfen spüren, so als klopfe jemand mit den Fingern auf eine gedämpfte Trommel. Das Gewitter war jetzt direkt über ihnen, und Tron hörte, wie der Wind, der sich zu einem Sturm gesteigert hatte, an den Fensterläden rüttelte. Für ein paar tröstliche Sekunden, die ihm erheblich länger vorkamen, als sie tatsächlich gedauert hatten, war er davon überzeugt, dass dies alles nichts anderes sein konnte als ein böser Albtraum. Der Sauternes hatte ihn umgehauen (wieder am Tisch?), gleich würde er die Augen öffnen, den Kopf vom Kopfkissen (Tischtuch?) heben und erkennen, dass …
    Doch dann kehrte sein Verstand zurück – das bisschen Verstand, über das er noch verfügte. Als Tron die Augen öffnete, sah er ohne Überraschung, dass der Lauf von Potockis Revolver direkt auf sein Herz gerichtet war.

    Tron räusperte sich umständlich. «Sie wussten, dass Troubetzkoy hier lag?» Eine überflüssige Frage.
    Natürlich hatte Potocki es gewusst.
    Potocki nickte. «Ich habe ihn vor zwei Stunden erschossen.»
    «Weil er Ihre Frau getötet hat? Und weil Sie nicht glaubten, dass wir es jemals schaffen würden, Troubetzkoy diesen Mord nachzuweisen?»
    Potocki sah Tron amüsiert an. Dann sagte er etwas, das Tron nicht verstand. «Weil er Sie getötet hat. Als Sie diesen Raum betreten haben, hat Troubetzkoy auf Sie gefeuert.» Er lächelte freundlich.
    «Anschließend habe ich ihn erschossen.»
    Es dauerte einen Moment, bis Tron begriffen hatte, was Potocki sagen wollte. «Sie haben Troubetzkoy unter einem Vorwand in diese Wohnung gelockt und ihn dann getötet. Richtig?»
    «Richtig, Commissario.»
    «Und da der Verdacht unter diesen Umständen
    sofort auf Sie gefallen wäre, brauchten Sie ein Alibi.»
    Potocki nickte. «Wenn ich Sie jetzt erschieße und Ihnen anschließend den Revolver in die Hand drü cke, habe ich das beste Alibi der Welt.»
    Das war ein Gedankengang, dem eine perfide  Eleganz nicht abzusprechen war. Tron nickte. «Es passt perfekt. Zumal auch wir den Großfürsten in Verdacht hatten.»
    Jetzt strahlte Potocki förmlich. «Es passt noch viel perfekter.»
    «Das müssen Sie mir erklären.»

    «Was wäre geschehen, wenn ich mich darauf beschränkt hätte, Troubetzkoy einfach nur zu erschie ßen?»
    «Nach dem Zwischenfall im Café Quadri hätten  wir unter erheblichem Druck gestanden, Ihnen diesen Mord nachzuweisen», sagte Tron. «Wahrscheinlich hätte sich auch der Ballhausplatz eingeschaltet.»
    Potocki senkte zustimmend den Kopf. «Sie hätten jeden Stein umgedreht, auf dem ich mal gesessen habe.» Er hielt inne und

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