Gondeln aus Glas
Morgen um elf, Bossi. Vor dem Regina e Gran Canal.»
Bossi salutierte förmlich. Das tat er immer, wenn er sich gekränkt fühlte. «Ich gehe gleich in die Questura und suche die Fotografien heraus.»
46
Tron nahm elastisch zwei Stufen auf einmal, als er wenig später im Palazzo Balbi-Valier zur Principessa emporeilte – keine große Leistung, denn die Treppe im Palazzo der Principessa war eine noble scala equitabilis mit flachen Stufen, aber doch beachtlich, fand Tron, wenn man an das anstrengende Programm dachte, das er heute erfolgreich bewältigt hatte: den Kredit für die Principessa arrangiert und auch den Mord im Palazzo da Lezze – nun ja, vielleicht nicht vollständig gelöst, aber beinahe gelöst.
Jetzt lagen – Tron beabsichtigte nicht, vor zehn Uhr morgens aus den Federn zu steigen – zwölf himmlische Stunden vor ihm. Zuerst ein leichtes Abendessen – vielleicht eine Terrine de foie gras und dazu einen Château d’Yquem, von dem die Principessa kürzlich mehrere Kisten erstanden hatte –, jedenfalls würden anschließend großzügig portionierte dolci serviert werden. Ein Eissoufflé Port Royal? Oder ein Eispudding mit Grand Marnier? Und dann, danach …
Tron atmete tief durch und schloss verzückt die Augen, während er die letzte Stufe erklomm.
Als er den Salon der Principessa betrat, sah er schon an ihrer Kleidung und der Art, wie sie sich zu ihm umdrehte, dass Leinsdorf unterschrieben hatte.
Die Principessa, deren Toilette einen leichten Einschlag ins Festliche hatte, trug ein Gesellschaftskleid, dessen Oberteil wie ein Mieder, das heißt ohne Ärmel geschnitten war. Unter dem tief dekolletierten Oberteil des Kleides konnte Tron eine Lingerie-Bluse aus hellem, durchscheinendem Organza erkennen. In der Hand hielt sie – wohl als Verbeugung vor der Ostasienmode – einen Stielfächer mit gerundetem Blatt.
Er ging langsam – fast wie in einem Traum – auf die Principessa zu. Einen Schritt vor ihr blieb er stehen. Der Himmel in dem geöffneten Fenster, vor dem die Principessa stand, war schwarz, sternenlos, nur ein paar erleuchtete Fenster von der gegenüberliegenden Ca’Barbaro schimmerten durch die Nacht.
Tron fand auf einmal, dass die feuchte Hitze, die über der Stadt lag, nichts Klebriges, Unangenehmes mehr hatte, sondern etwas Sinnliches, Prickelndes – so wie die bereits geöffnete Flasche Veuve Cliquot auf dem Konsoltisch, die verheißungsvoll in ihrem silbernen Kübel wartete. Er hob die Augenbrauen.
«Leinsdorf hat unterschrieben?»
«Er war ganz wild darauf. Und Troubetzkoy – hatte der ein Alibi für gestern Nacht?»
Troubetzkoy? Tron stellte fest, dass er Schwierigkeiten hatte, den Blick von der Principessa zu wenden. Und dass er nicht die geringste Lust hatte, sich zum Thema Troubetzkoy zu äußern. Er zuckte die Achseln. «Nein. Aber das heißt nicht viel.»
«Willst du darüber reden?»
Tron schüttelte den Kopf. «Ich habe nicht die Absicht, an alles das heute Abend auch nur zu denken .»
Er senkte die Stimme wie zu einem feierlichen Versprechen. «Ich werde ab sofort überhaupt nicht mehr denken.»
Die Principessa lächelte. «Sondern?»
«Was gibt es?»
«Truffes en surprise.»
Das klang nach … Nun, das klang nach einer Überraschung. «Was trinken wir dazu?»
«Einen Sauternes», sagte die Principessa bescheiden.
«Und danach?», forschte Tron weiter.
Die Principessa trat einen halben Schritt näher und hob den Kopf. Jetzt waren ihre grünen Augen so nah vor den seinen, dass er nichts anderes mehr sehen konnte. Sie schwieg einen Moment, und dann sagte sie in reinstem Veneziano: «Danach sind wir für niemanden zu sprechen.»
Nur der Mensch denkt, Gott lenkt! Wie Recht, dachte Tron, als er plötzlich Stimmen und dann Geschrei aus dem Vestibül der sala hörte – wie Recht hatte doch der Volksmund mit dieser schlichten Weisheit.
Die Flügeltür zwischen dem Salon der Principessa und dem Vestibül öffnete sich, und Moussada (Massouda?) erschien auf der Schwelle. Hinter ihm, den Kopf durch den Turban und die vor Aufregung wippende Pfauenfeder des Mohren halb verdeckt, stand ein Mann, den Tron nicht erkennen konnte, der jetzt aber einen Schritt zurücktrat, um eine halbwegs gesittete Meldung des Besuches zu ermöglichen.
Die Principessa warf Massouda (Moussada?) einen Blick zu, der eine durchgehende Büffelherde zum Stehen gebracht hätte. Ihre Stimme klang eisig. Tron konnte nicht umhin, ihre Selbstbeherrschung zu bewundern. «Was gibt es,
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