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Gordon

Gordon

Titel: Gordon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Templeton
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    1. KAPITEL
     
     
     
    AN EINEM SONNIGEN JUNINACHMITTAG um Viertel vor sechs saß ich im Shepherds in der Nähe der Theke und beobachtete über den Rand meines Glases hinweg einen Mann. Ich war mir sicher, dass er versuchen würde, mich abzuschleppen. Weniger sicher war ich mir, wie ich darauf reagieren würde. Äußerlich erinnerte er mich an Major Carter, der mich ein paar Wochen zuvor, während er mich nach einem Regimentsball in einem Dienstwagen nach Hause begleitet hatte, umarmt und, von mir abgewiesen, sich mit den Worten entschuldigt hatte: »Ich weiß wirklich nicht, was in mich gefahren ist! Wo Sie doch so ein nettes Mädchen sind …«
    Vielleicht war es seine Enttäuschung darüber, dass ich »so ein nettes Mädchen war«, was ihn später an dem Abend dazu gebracht hatte, sich zu betrinken; vielleicht war er aber auch schon im Auto betrunken gewesen. Ich hatte ihn aus den Augen verloren, sobald wir die riesige Hotel-Lounge betreten hatten, die uns als Kasino diente. Als ich aber eine halbe Stunde später mit einigen Freunden plaudernd zusammen saß, sah ich zu meinem Erstaunen Major Carter auf der Empore auftauchen, die die Lounge umgab. Abgesehen von einer Unterhose hatte er nichts an. Er klammerte sich an das Geländer und brüllte: »Ich will eine Frau! Ich muss eine Frau haben!«
    Die zwei Kasino-Sergeants, die an der Rezeption Dienst taten, der Kasino-Sekretär und ein paar weitere Offiziere, darunter der junge Dent, rannten die Treppe zur Empore hinauf und umringten ihn. Brüllend und sich sträubend wurde er zum Fahrstuhl geschleppt.
    Was danach geschah, erfuhr ich von Dent, als er sich eine halbe Stunde später an unseren Tisch setzte. Dent erzählte höchst amüsiert: »Wir schaffen den Burschen rauf in sein Zimmer, legen ihn aufs Bett und fesseln ihm Hände und Füße mit zwei Pfeifenschnüren. Dann bleiben wir noch eine Weile da und schwatzen, ohne groß auf ihn zu achten, sagen uns, dass wir ihm noch zehn Minuten Zeit lassen, und dann kann ihn sein Bursche schlafen legen und wir machen Feierabend, als er sich losreißt, aufspringt und aus dem Zimmer flitzt. Wir sofort hinterher, er rennt den Gang lang zur Fahrstuhltür, öffnet sie und steigt in den Fahrstuhl, der nicht da ist. Und wir machen nur noch die Augen zu. Ein Sturz über vier Stockwerke und unten eine Betonplatte! Wir laufen die Treppe hinunter, um aufzusammeln, was von ihm noch übrig ist, und als wir auf dem ersten Stock ankommen, sehen wir ihn, wie er die Treppe herauf gerannt und uns entgegen kommt, dabei flucht und zetert, und wir stoßen zusammen; und so sind wir alle wieder vereint und rangeln und prügeln uns, genau wie vorher. Jetzt liegt er im Bett.«
    Am nächsten Morgen hörte jemand Major Carter beim Frühstück sagen, er wolle verdammt sein, wenn er wisse, warum er mit blauen Flecken übersät war.
    Ich kannte das Shepherds gut, von vor dem Krieg, aber ich war noch nie allein da gewesen. Ich war überhaupt noch nie allein in einem Pub gewesen.
    Es war 1946, der Krieg war zu Ende, und ich war seit zwei Tagen wieder in London. Ich war achtundzwanzig Jahre alt, und wenngleich rastlos und einsam, hatte ich noch nicht jenes Lebensstadium erreicht, von dem es heißt:
     
    » Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
    Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
    wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
    und wird in den Alleen hin und her
    unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.«
     
    Das Shepherds hatte sich nicht verändert, und ich liebte es schon wegen seines Namens – Shepherds in Shepherd Market –, wegen der Ironie, die er enthielt, weil er das genaue Gegenteil dessen war, was Schäfer und ein Markt implizierten. Es gab noch immer dieselbe Decke, braun und glänzend, wie mit Karamell übergossen und so zerbrechlich anzusehen, dass man hätte schwören mögen, sie würde bei der leichtesten Berührung zerspringen. Das Telefon rechts vom Eingang befand sich noch immer in der altertümlichen Sänfte, deren Wände mit Blumengirlanden bemalt waren, und es gab noch immer den einen Barkeeper, der gern behauptete, die halbe Krone, die man ihm gegeben hatte, sei ein Zweishillingstück gewesen.
    Das Lokal war überfüllt, aber ich war dem Gedränge entronnen. Ich saß auf der niedrigen breiten Fensterbank in der Nähe des zweiten Eingangs, gegenüber der Sänfte, am entgegengesetzten Ende des Raums, und hatte links und rechts neben mir genügend Platz, um meine Handtasche und mein Glas abzustellen.
    Ich

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