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Gordon

Gordon

Titel: Gordon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Templeton
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trug ein kurzärmeliges eng anliegendes Kleid aus bedruckter Seide, die mit ihren verschwimmenden Tupfern von Blau, Rosa und Mauve an diese marmorierten Vorsatzblätter erinnerte, die die Bücher des neunzehnten Jahrhunderts schmücken. Genau dieses Kleid hatte ich eines Nachmittags im Garten unseres Kasinos im Hauptquartier getragen, als Colonel Prior ausgerufen hatte: »Bewegen Sie sich jetzt nicht, Louisa, was immer Sie tun! Sie sehen exakt aus wie ein Renoir!«
    Genau dieses Kleid hatte ich eines Abends getragen, als wir in der Eingangshalle herumgestanden hatten und Major Turner hereingekommen war und gesagt hatte: »Ich habe den Ordonnanzen gesagt, dass sie mit dem Auftragen noch zehn Minuten warten sollen. Louisa sieht gerade so reizend aus, dass ich es nicht über mich gebracht habe, die Versammlung aufzulösen.«
    Ich warf einen weiteren Blick auf den Mann, der Major Carter ähnelte, und bemerkte, dass er seinen Barhocker noch ein Stückchen näher an meinen Platz herangerückt hatte. Er war ein blonder, stämmiger, rotgesichtiger junger Mann; er litt wahrscheinlich, wie wir zu sagen pflegten, nicht gerade an zu viel Gehirnmasse, ohne deswegen allerdings auf den Kopf gefallen zu sein. Dann ließ ich den Blick weiter durch den Raum schweifen und stellte zu meiner Enttäuschung fest, dass ich nur fremde Gesichter sah. Das Shepherds war eine Anlaufstelle für jeden aus unserer Clique, der gerade Urlaub hatte; und eben in der Hoffnung, wenn schon keinen Freund, so doch wenigstens einen Bekannten zu finden, war ich hierher gekommen.
    Eine Sekunde lang begegnete ich dem Blick eines Mannes, der vor der Sänfte stand, von der nur eine Ecke zu sehen war – und auf dieser die Hälfte einer gemalten Rose, rissig und verblasst. Nur sein Kopf und ein Teil seiner Schultern ragten hinter einer Gruppe von Offizieren empor, aber das genügte mir, um zu sehen, dass er Zivilist war. Sehr gepflegt, dachte ich, hat aber auch was Gemeines an sich. Wahrscheinlich eine Tunte aus Mayfair. Und ich wandte die Augen ab und trank einen Schluck von meinem Sherry.
    Während ich unter gesenkten Lidern die langsame Annäherung des zweiten Major Carter verfolgte, begann ich, wie ich es schon oft getan hatte, über die bedauerliche Logik nachzudenken, die sich in »Wo Sie doch so ein nettes Mädchen sind!« äußert.
    Wenn ein Mann eine Frau, die ihm, wie es so schmeichelhaft heißt, »ihre Gunst geschenkt hatte«, verachtete, dann konnte das doch nur heißen, dass er sich selbst ebenfalls verachtete. In seltenem Gegensatz dazu stand der junge Captain Dent mit seinem: »Und als ich sie dann bat, mit mir ins Bett zu gehen, sagte sie – als die intelligente Frau, die sie ist – ja.«
    Der zweite Major Carter war gerade aufgestanden und hatte – mit einem fragenden, rundäugigen Blick und einem lächelnd aufgerissenen Mund, Merkmale, aus denen ich zweifelsfrei schloss, dass er mich mit etwas wie »Na, so ein Vergnügen, Sie hier zu sehen! Lassen Sie mich nachdenken – woher kennen wir uns noch mal?« ansprechen würde – einen Schritt in meine Richtung getan, als ich eine Stimme sehr leise sagen hörte: »Wir genehmigen uns woanders noch einen Drink.« Die Stimme war so schwach und kam so völlig aus dem Nichts, dass ich einen Moment lang glaubte, ich hätte sie mir nur eingebildet.
    Ich drehte mich um.
    Hinter mir stand der Unbekannte, den ich als eine Nobeltunte abgetan hatte. Ich war zu verblüfft, um zu sprechen. Er löste meine Finger von dem Glas, das ich hielt, und stellte es auf die Fensterbank. Seine Hand schloss sich um mein Handgelenk. Ich spürte den Druck seines harten Daumens an meinem Puls. »Kommen Sie schon«, sagte er mit derselben leisen Stimme. Ich nahm mit meiner freien Hand meine Tasche, und während der zweite Major Carter mich weiterhin rundäugig und offenen Mundes, aber jetzt ohne zu lächeln, anstarrte, folgte ich dem Unbekannten nach draußen.
    Auf dem Bürgersteig blieb er stehen und ließ mich los.
    Ich wendete mich zu ihm hin. Wir sahen uns an. Ich war noch immer benommen und über meine unerklärliche Fügsamkeit verblüfft. Er lächelte.
    »O Gott, worauf habe ich mich da bloß eingelassen?«, dachte ich, als ich ihm in die Augen sah und sie entschieden unangenehm fand. Sie lagen tief in den Höhlen, waren dunkelgrau und mit einem weißen Ring versehen, eine Eigenart der Iris, die mir gelegentlich bei sehr alten Menschen aufgefallen war. Aber ihr fast unheimliches Aussehen rührte wahrscheinlich von ihrer

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