Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gorki Park

Gorki Park

Titel: Gorki Park Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz-Smith
Vom Netzwerk:
Gesicht beinahe schön wirkte. Ihr Mann stand stolz neben ihr.
    Die beiden waren Wiskow, F.N., und Wiskowa, I.L., die 1946 eine »konterrevolutionäre Zelle« gebildet hatten, indem sie in ihrem Antiquariat Schmierer wie Montaigne, Apollinaire und Hemingway angeboten hatten. Nach einem »verschärften Verhör«, das Wiskow verkrüppelt und seine Frau fast ohne Stimme (nach einem Selbstmordversuch mit Lauge) zurückgelassen hatte, waren sie zu je 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt worden. Im Jahre 1956 wurden die Wiskows entlassen und erhielten sogar die Möglichkeit, eine Buchhandlung aufzumachen, was sie allerdings ablehnten.
    »Ich dachte, Sie seien Geschäftsführer des Schnellrestaurants am Zirkus«, sagte Arkadi.
    »Dort ist meiner Frau die Arbeit zu anstrengend geworden. Hier braucht sie nur zwischendurch auszuhelfen.« Wiskow blinzelte dem Chefinspektor zu. »Manchmal kommt auch unser Junge vorbei und hilft mit.«
    »Das haben wir Ihnen zu verdanken«, formte Genossin Wiskowa mühsam mit den Lippen.
    Großer Gott, dachte Arkadi, ein Apparat klagt zwei Unschuldige an, verschleppt sie in Arbeitslager und raubt ihnen die besten Jahre ihres Lebens - und wenn ein Apparatschik sie auch nur halbwegs anständig behandelt, bezeugen sie ihm rührend ihre Dankbarkeit. Welches Anrecht habe ich auf ein freundliches Wort von ihnen? Er aß sein Kaviarbrot, trank sein Bier und verließ die Schnellimbissstube, so rasch er konnte, ohne unhöflich zu wirken. In seinem Büro setzte Arkadi sich vor den Karteikasten und ging systematisch seine Unterlagen durch. Er begann mit Straftaten, bei denen Schusswaffen verwendet worden waren. Aber er fand keinen brauchbaren Hinweis.
    Als nächstes blätterte Arkadi in den Karteikarten mit Eintragungen über Morde und suchte nach Verbrechen, die er vielleicht vergessen hatte: Morde, deren Ausführung sorgfältige Planung und kühnen Wagemut verriet. Aber in dreijähriger Tätigkeit als Inspektor und zweijähriger als Chefinspektor hatte er keine fünf Morde erlebt, die nicht aus kindischer Eifersucht, Habgier oder Rachsucht verübt worden waren oder nach denen sich der Täter oder die Täterin nicht betrunken prahlend oder reumütig der Miliz gestellt hatten.
    Arkadi gab auf und knallte den Karteikasten zu.
     
    Nikitin öffnete die Tür, ohne anzuklopfen, kam herein und setzte sich auf Arkadis Schreibtisch. Der Chefinspektor für interbehördliche Zusammenarbeit hatte ein rundes Gesicht und schütteres Haar.
    Wenn er betrunken war, verengten seine Augen sich bei jedem Lächeln zu orientalischen Schlitzen.
    »Du machst wohl Überstunden?«
    Wollte Nikitin damit sagen, dass Arkadi fleißig, übereifrig, sinnlos, erfolgreich arbeitete, dass Arkadi clever oder ein Narr war? Das alles ließ sich aus seiner Frage heraushören.
    »Wie du«, sagte Arkadi nur.
    »Ich arbeite nicht - ich kontrolliere nur, was du tust.« Er schüttelte den Kopf. »Manchmal glaube ich wirklich, dass du nicht das geringste von mir gelernt hast.«
    Ilja Nikitin hatte die Mordkommission vor Arkadi geleitet; in nüchternem Zustand war er der beste Ermittlungsbeamte, den man sich nur vorstellen konnte. Wäre der Wodka nicht gewesen, hätte Nikitin es längst zum Staatsanwalt gebracht, aber der Chefinspektor war ein unverbesserlicher Trinker.
    Einmal pro Jahr wurde er quittegelb zur Entziehungskur nach Sotschi geschickt.
    »Ich weiß immer, was du gerade tust, Wassiljewitsch. Ich behalte dich und Sonja ständig im Auge.«
    An einem Wochenende, an dem Arkadi auf Dienstreise gewesen war, hatte Nikitin versucht, sich an Arkadis Frau heranzumachen. Bei Arkadis Rückkehr hatte Nikitin sich sofort nach Sotschi schicken lassen, von wo aus er täglich lange Entschuldigungsbriefe geschrieben hatte. »Willst du eine Tasse Kaffee, Ilja?«
    »Irgend jemand muss dich vor dir selbst beschützen. Entschuldige, Wassiljewitsch …«, Nikitin bestand darauf, den Vatersnamen leicht herablassend zu gebrauchen »… aber ich bin möglicherweise - obwohl du vielleicht anderer Meinung bist - ein bisschen intelligenter oder erfahrener oder zumindest besser informiert als du. Das bedeutet keine Kritik an deinen Leistungen, die allgemein bekannt und kaum verbesserungsfähig sind.« Nikitin legte grinsend den Kopf zur Seite. Er roch geradezu nach Heuchelei. »Dir fehlt im Grunde genommen nur der große Überblick.«
    »Gute Nacht, Ilja.« Arkadi zog seinen Mantel an.
    Nikitin folgte ihm auf den Gang hinaus. »Aber das kapierst du wahrscheinlich nie«,

Weitere Kostenlose Bücher