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Gott Braucht Dich Nicht

Gott Braucht Dich Nicht

Titel: Gott Braucht Dich Nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Maria Magnis
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zurückgebracht.
    Dass die Geschichten Jesu für Teenager damit in etwa so relevant wie «Karla besucht den Zahnarzt» waren, hatten die Kirchen nicht gemerkt. Dass wir Kinder, Steffi, Johannes und ich, uns nach der Schreckensnachricht von Papa nicht sicher waren, ob man den Gott-ohne-Arme überhaupt um das Unmögliche bitten kann – dass wir nach 2000 Jahren christlicher Menschheitsgeschichte unsicher wie auf Eiern über den Dachboden wankten und Angst hatten, dass eher von uns ein Straßenplakat mit «Rettet die Wale» anstatt ein «Mach Papa gesund» von Gott verlangt wurde, das – na gut –, das konnten sie vielleicht wirklich nicht wissen. Ein kleiner Priesteramtskandidat hat mir vor Jahren einmal erklärt, warum man bei den Fürbitten nicht um die Heilung von Kranken, also um Wunder bitten dürfe. Man habe dann nämlich, erklärte er mir, sofort ein Theodizee-Problem in der Gemeinde. «Ach so», habe ich mit gedämpfter Stimme gesagt und mich ängstlich umgeschaut, «du meinst, die Schafe wissen noch nichts davon, dass Gott nicht jeden Kranken gesund macht?» Und dann habe ich mich zu ihm geneigt und ihm ins Ohr geraunt: «Ich sag’s keinem. Versprochen. Lassen wir sie weiterschlafen. Die Spatzenhirne.» Fand er nicht witzig.
    Johannes drehte an dem alten schwarzen Lichtschalter, um die Blechfunzel anzumachen, die etwas einsam über der Leiter zum Speicher baumelte. Sie war kaputt. Wir schlichen also im Finstern weiter zu der kleinen Kammer, in die wir wollten.
    Es gab keine Idee davon, wie das gleich werden sollte. In mir war kein Stoßgebet. Mein Gebet war ja gereift. Ein paar Tage lang. Zu mir selbst. Aber den Ausdruck dafür musste ich finden. Den hatte ich nicht. Den hatten wir alle nicht. Steffi schloss hinter uns vorsichtig leise die Tür. Wir zogen die Köpfe vor der Dachschräge ein. Unten sahen sie fern oder spielten Backgammon oder versuchten, die Absurdität auszuhalten, dass jede Sekunde von Papas Leben ein Gewicht bekommen hatte, das man kaum tragen kann, dass man den Impuls verspürt aufzuspringen, einen Tanz vorzuschlagen, noch etwas Großes, Schönes zu tun, dabei alles so schwer und köstlich ist wie die Henkersmahlzeit.
    Wir Kinder standen in dem kleinen Zimmer auf dem Dachboden, zögerten kurz. Durch das dreieckige Fenster schien ein dumpfes bläuliches Licht vom Schnee, der auf dem Berg gegenüber des Hauses im nächtlichen Schatten lag. An der Wand stand im Dunkeln eine Pritsche. Das Federbett darauf wölbte sich in grauem Schatten hoch und dick. Johannes ließ sich darauf nieder. Als er sich setzte, bäumte es sich zu seiner Rechten und Linken auf. Er sank ein und saß da wie in der Schneise eines gefalteten Schiffchens mit kleinen, dicken, steilen Wänden aus Federbett.
    Steffi und ich zogen uns zwei Hocker vor das Bett. Es war kalt. Wir sagten nichts. Eine halbe Minute lang vielleicht? Dann machte ich im Finstern das Kreuzzeichen und begann murmelnd: «Im Namen des Vaters», meine Geschwister fielen leise mit ein, «des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.» Wieder Stille. So weit kamen wir. Das kannten wir noch. Im Kreuzzeichen waren wir uns noch vertraut.
    Schweigen.
    Es drängte mich ja zum Beten, aber ich wusste nicht, was und wie. Ich wollte nicht meine Stimme hören. Ich dachte, dass sie mich niemals ganz zum Ausdruck bringen könne. Dass mein Wille und Glaube im Herz es nicht zwischen Zunge und Gaumen schaffen würde, geformt zu werden. Ich hatte Angst davor, dass meine Stimme in der Luft hängen würde. So, wie manche es vielleicht kennen, wenn sie «Ich liebe dich» sagen wollen, es wirklich so meinen und dieser Satz dann ungnädig, ohne Seele im Raum steht – peinlich –, fast unglaubwürdig, und dümmlich sich selbst nachäffend nachklingt. Ich hatte Angst, dass ich zusehen könnte, wie mein Gebet ausgesprochen im Raum schwebt und langsam, langsam zerbröselt, in Krümeln zu Boden fällt und sich auflöst. Danach wäre ich kein Mensch mehr gewesen, der zwischen einer schrecklichen Nachricht und einem Gebet lebte. Danach wäre ich dann nur noch ein Mensch vor ungewissem Grauen gewesen.
    Schweigen. Darin lag unser eigenes Warten, darauf, dass eines der Geschwister vielleicht anfinge, was zu sagen. Aber diese Augenblicke gingen vorbei. Es war zu ernst, um einfach draufloszureden. Einer unserer Mägen machte Geräusche. Ich dachte über Sätze nach, die ich sagen wollte. Meinen Geschwistern ging es genauso. Aber wir hielten das Schweigen aus. Angespannt. Warten.

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