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Gott Braucht Dich Nicht

Gott Braucht Dich Nicht

Titel: Gott Braucht Dich Nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esther Maria Magnis
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gebreitet

    – da erstickten uns die Stimmen. Und wir brachten keinen Ton mehr heraus. Auch wenn wir wussten, dass es wahr war, wir konnten es nicht aussprechen. So paradox die Welt sein kann, so paradox ist manchmal die Wirklichkeit des Glaubens. Wie zwei Felsen stark und hoch nebeneinander, die vor einem in den Himmel ragen, und das Einzige, was einen Weg hindurchfindet, sind Tränen.
    Danach war Ruhe für Monate. Ich telefonierte ganz normal mit Johannes. Jeden zweiten Tag, wenn ich von der Uni nach Hause lief, und wir erzählten uns Blödsinn oder schöne Dinge, je nachdem. Aber dann träumte ich nachts. Ich wachte davon auf, weil ich im Schlaf das Vaterunser stammelte.
    Der Traum fing mit einer gekalkten Hausecke oder Mauerwand an, die mir bekannt vorkam. Ich bog um diese Ecke, und dahinter stand Johannes. Er hatte den Kopf geneigt, sah auf seine Hand, und dann hob er den Blick, sah mich an, und in seinen Augen stand: «Es gibt keinen Gott. Wir sind verloren.» Es war das Grauenhafteste, was ich an Hoffnungslosigkeit jemals gesehen und empfunden hatte. Es war erschreckender als das, was ich in der Kirche an Papas erstem Todestag erlebt hatte. Viel kälter, viel ekelhafter.
    Ich erstarrte, aber dann sagte ich: «Johannes, du musst jetzt beten», ging zu ihm hin, griff seinen Arm und zog ihn auf die Knie auf den Betonboden. Und dann begann ich, das Vaterunser zu stammeln, und wachte dadurch auf. Ich lag benebelt im Bett, mein Herz raste, ich hatte wahnsinnige Angst und betete das Gebet fertig. Und dann lag ich da, still, schwitzend.
    «Gott?», flüsterte ich. «Warum ist das so?»
    Das Licht der Straßenlaterne fiel durch die Rollläden in Streifen auf den Fußboden. Keine Antwort.
    «Lieber Gott?» Stille. Ich hatte getan, was ich sollte. Ich verstand das nicht. Ich schlief wieder ein.
    Zwei Tage später rief Johannes an, dass er beim Arzt war, dass er einen neuen Knoten habe, wieder im Gesicht unter der Haut, und ob ich zur OP kommen könne, ob ich es Mama sagen könne und Steffi. Ja. Machte ich.
    Und so traf ich mich also mit Johannes in dieser Stadt. Wir gingen in der Sommernacht in eine große Bar, tranken mit seinem Freund zwei «Long Island Ice Tea» aus Weißbiergläsern, eine spanische Flamenco-Combo spielte ihre Lieder, und das war Musik, mit der wir aufgewachsen waren, weil wir als Kinder so oft in Spanien waren und dazu als kleine Dötze getanzt hatten. Daran dachten wir. Und wir lachten viel und waren auf besonders witzige Weise extrem betrunken und landeten irgendwann auf dem Bürgersteig vor einer anderen Kneipe, in der sich ebendieser Freund in die Kellnerin verknallt hatte.
    «Betest du eigentlich?», fragte ich Johannes.
    Er lehnte sich zurück, seine Hände auf den Bürgersteig aufgestützt.
    «Ich weiß nicht. Nicht so wie du, glaube ich.»
    «Mh.»
    «Ich hab einfach ein anderes Verhältnis zu Gott als du. Ich muss das hier allein schaffen. Oder so. Ich glaube, dass er will, dass wir Menschen die Dinge selber anpacken. Ich glaub nicht, dass er eingreift in diese Welt. Keine Ahnung.»
    «Der sitzt fett in seinem Himmel und guckt zu, oder was?»
    «Ich weiß nicht.»
    «Ich will dich damit auch nicht nerven. Aber ich glaube, wenn man Gott abspricht, dass er was tun kann, dann spricht man ihm damit seine Größe ab, weißte?»
    «Lass uns nicht darüber sprechen. Ich weiß, dass du irgendwie anders glaubst als ich. Aber ich will jetzt meine Kräfte sammeln. Positive Thinking. Hat doch der Arzt auch gesagt.»
    Das reicht nicht. Dachte ich. Und er wusste, dass ich das dachte.
    «Bete du für mich.» Er sah mich etwas verlegen an.
    «Nö», sagte ich und schaute beleidigt in den Himmel.
    Wir lachten.
    «Mach ich eh.»
    «Ja.»
    Und was manchen Menschen die Sonnenaufgänge sind, die Ouvertüren oder die Morgen mit dem neuen Schnee, das wurde mir später, als wir auf der Gästecouch lagen und mein Bruder längst schlief, die Entfaltung des göttlichen Willens, aus dem ein Mensch geworden war, der Johannes hieß und neben mir lag.
    Er hatte beim Einschlafen nach meiner Hand gegriffen. Ich hielt sie fest. Wie auf den Kindergeburtstagen, wenn wir bei Kindern eingeladen waren, die wir nicht so gut kannten. Wie an Weihnachten, als Johannes den Roboter bekommen hatte und an meiner Hand neben mir stand und ich für ihn «Boah» sagte, weil er zu ergriffen war, um zu sprechen. Wie bei den Sprüngen vom Felsen ins Meer, als wir halb Kinder, halb Teenager waren, wie bei den Gebeten für Papas Heilung, wie in

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