Gottes Zorn (German Edition)
Blickfeld. Er hörte, wie sie sich in einem Kreis um ihn herum bewegten. Die Schritte ließen die Holzdielen unter seiner Wange vibrieren. Dann begann der großgewachsene Mann dort oben ein Kirchenlied zu singen. Leise, aber dennoch mit klarer und deutlicher Stimme: «Tag für Tag, Augenblick für Augenblick … Welch ein Trost, was auch kommen mag … Alles ruht in den Händen meines himmlischen Vaters …»
Ein Tenor, obwohl man hätte meinen können, dass ein Mann von seiner Größe eher Bass oder Bariton singen würde.
«Hör mir zu, Erik», nuschelte Joel. «Du brauchst Hilfe.»
Der Tritt in die Seite ließ ihn nahezu vom Boden abheben. Er verspürte einen Schmerz, als wären alle seine inneren Organe geplatzt. Joel erbrach eine saure schleimige Masse.
«Rede nicht so mit mir!», rief Erik mit schriller Stimme. «Genau das haben sie in Sankt Sigfrids auch gesagt. ‹Du brauchst Hilfe, Erik.› Ich brauche überhaupt keine Hilfe. Ich brauche nur Zeit, um in Ruhe nachzudenken.»
Es wurde still. Die schwarze Katze spazierte lautlos vor Joels Gesicht vorbei. Ihr Schwanz kitzelte ihn an der Nasenspitze. Das Einzige, was zu hören war, war der Schneesturm, der übers Land tobte.
Plötzlich wurde Joel ein Knie ins Kreuz gestoßen. Seine Arme wurden nach hinten gerissen und die Schnur um seine Handgelenke festgezurrt, sodass sie ihm noch tiefer ins Fleisch schnitt. Womit hatte er ihn gefesselt? Mit einer Angelschnur? Kurz darauf wurden auch seine Fußgelenke zusammengebunden. In Joels Gehirn wirbelten die Gedanken hilflos umher. Ich muss nach einem Ausweg suchen! An sein Handy konnte er unmöglich herankommen. Er wusste ja nicht einmal, wo es war. Sollte er schreien und brüllen, so laut er konnte? Aber keiner würde ihn hören. Langsam ging ihm die schmerzhafte Wahrheit auf. Es gab keinen einzigen Menschen auf der Welt, der wusste, wo er war.
Plötzlich spürte Joel kalten Stahl an seinem Nacken. Etwas Schweres wurde gegen sein Ohr gepresst, glitt dann hinunter und landete schließlich mit einem Poltern auf dem Boden unmittelbar neben seiner Wange.
Die Axt!
Es blitzte auf, als sich die Flammen des Kaminfeuers in der Schneide widerspiegelten.
Jetzt waren die Stiefel wieder da.
«Hinterher fand ich, dass es ein Fehler war, Mårten zu erhängen», sagte Erik. «Ich hätte ihn stattdessen enthaupten sollen. Ihm den Kopf abhacken. So machen es doch die Mohammedaner mit ihren Schlachtopfern, oder?»
Zeit, dachte Joel verzweifelt. Ich muss Zeit gewinnen.
«Und warum hast du ihn getötet?»
Er hörte ein verächtliches Schnauben. «Mann, bist du schwer von Begriff, Joel.»
«Du kannst es mir ja erklären.»
Irgendwo im Hintergrund nahm er hin- und herwankende Schritte wahr. Dann knarrte es auf dem Dielenboden, und plötzlich befand sich Eriks Gesicht direkt neben Joels. Zwei Bergseen gefüllt mit hellblauem Schmelzwasser. Er blinzelte und legte sich auf dem Bauch zurecht. Atmete mit leicht geöffnetem Mund.
«Du musst verstehen, Mårten hat sich zwischen Mama und mich gedrängt. Zwischen uns und Gott. Mama und ich sind schließlich dazu berufen, dem Herrn zu dienen.» Er tätschelte Joel behutsam das Haar. «Gewisse Leute sagen, dass Mama Mårten dazu gebracht hat, das Licht zu erblicken. Aber das stimmt nicht. Es war nämlich genau andersherum. Er war derjenige, der sie dazu brachte, den Teufel zu erblicken.»
«Hast du Helga etwa auch getötet?»
«Nein, warum sollte ich das?», fragte Erik erstaunt. «Sie liegt zu Hause im Bett und kuriert sich aus.»
Die schwere Hand strich ihm noch immer übers Haar. Er versuchte sich wegzudrehen. Doch Erik kicherte nur wie ein kleiner Junge, der es nicht sein lassen kann, ein Insekt zu quälen. Aus seinen Nasenlöchern lugten ein paar helle Haare.
«Mama wird sich bestimmt freuen, jetzt, wo wir reich werden.»
«Aber warum …?»
«Verstehst du denn nicht, Joel? Deswegen musste ich doch diesen ganzen Zirkus überhaupt erst in Gang setzen. Um die Bilder und das Geld zu retten. Mårten hat mir vom Kunsthändler in Simrishamn erzählt. Die Bilder könnten extrem wertvoll werden, vorausgesetzt, Mårten würde von Terroristen ermordet werden. Aber es blieb nicht mehr viel Zeit. Denn Mårten hatte ja Krebs. Es war so traurig. Er hat es mir eines Tages erzählt, als wir draußen im Boot saßen und angelten. Maximal noch ein paar Monate, hatte der Arzt gesagt. Also wurde es langsam knapp.»
Er ergriff Joels Kinn und drehte seinen Kopf unsanft zur Seite.
«Siehst du,
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