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Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden

Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden

Titel: Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Heinzen
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    Werde 50 und weiß nicht, was ich an diesem Tag machen soll. Eine Party? Abhauen? Mir die Kante geben? Wenn ihr Ideen habt, meldet euch!
     
    Mit diesem Hilferuf auf Facebook fing alles an. Dabei gab es bis vor ein paar Wochen einen klaren Plan: Ich würde mit meiner Familie übers Wochenende nach Kreta fliegen, und wir würden zusammen bei »Jorgos« feiern. Während unseres letzten Urlaubs hatte ich mit Jorgos alles besprochen: keine Reden, kein Feuerwerk, keine Musiker, die um Mitternacht auf der Lyra Happy Birthday spielen. Einfach alles so wie immer – gemischte Vorspeisen, Wein aus der Umgebung und gegrillte Dorade, die Jorgos unter Umgehung des Artenschutzabkommens nachts mit seiner Harpune jagt. Und das an einem der wackligen Tische, die Jorgos bei schönem Wetter auf den schmalen Streifen Sand zwischen seiner Taverne und dem Libyschen Meer stellt. Jorgos hatte mir ein Foto gemailt, das seitdem als Bildschirmschoner auf meinem Laptop läuft: ein blauer Tisch, darauf zwei Karaffen mit Essig und Olivenöl, dahinter das glitzernde Meer. Alles war vorbereitet für meinen 50. Geburtstag.
    Dann ging die Sekretärin unseres Fachbereichs in die Babypause, und Dorata schob jetzt den Postwagen über den Flur.
    Um das ein für alle Mal klarzustellen: Ich liebe meine Frau und bin ihr all die Jahre treu geblieben, seit wir auf der Party des AStA-Frauenreferats zu Because the Night miteinander getanzt haben. Wobei strenggenommen nur Martina getanzt hat. Ich versuchte, irgendwie über die Runden zu kommen. Ich bin ein lausiger Tänzer und dachte, damit wäre ich schon aus dem Rennen. Dann ergriff eine Frau mit kurzen, rotgefärbten Haaren das Mikrofon und rief: »Was macht eigentlich der Schwanzträger hier?!«
    Damit war ich gemeint.
    Um noch etwas klarzustellen: Es war Martinas Idee, mich auf diese Party anlässlich des Internationalen Frauentags zu
schleppen. Ich war der einzige Mann. Okay, dachte ich, während mich lauter Frauen mit kurzen, roten Haaren anstarrten, ihr wollt unter euch bleiben. Kann ich verstehen nach 7.000 Jahren Patriarchat, auch wenn ich es nicht fair finde, dass ausgerechnet ich jetzt den ganzen Ärger abbekomme. Ich trinke nur noch schnell mein Bier aus und gehe.
    Aber Martina stellte sich vor mich und sagte: »Du bleibst!«
    Ich bin 26 Jahre geblieben und wäre immer noch mit Martina zusammen, wäre sie nicht vor einer Woche ausgezogen. Wegen Dorata. Dabei ist die Affäre mit Dorata längst vorbei. Außerdem war es gar keine richtige Affäre. Eine Affäre, das ist so etwas, was Bill Clinton und Monica Lewinsky im Weißen Haus hatten, wobei Dorata auch eine Praktikantin ist. Wir trafen uns zufällig in der Teeküche unseres Instituts, die zugleich Kopierraum ist. Das Kopierpapier war ausgegangen, weshalb Dorata auf einen Stuhl stieg, um neues Papier aus dem Hängeschrank über meinem Kopf zu holen und mir so Gelegenheit gab, den Schmetterling zu bewundern, der unter ihrem hochrutschenden T-Shirt zwischen ihrem Bauchnabel und dem Bund ihrer Jeans auftauchte.
    Eigentlich finde ich Tattoos billig, auch wenn ich mich inzwischen daran gewöhnt habe. Als ich noch jung war, so jung wie Dorata, trugen Tattoos nur Männer, die auf dem Bau arbeiteten, oder Hells Angels. Heute sind alle meine Studenten tätowiert, soweit ich das beurteilen kann. Doratas Schmetterling war nicht schön, die Farbe war an den Rändern verlaufen. In ein paar Jahren sähe der Schmetterling aus wie eine Hautverfärbung, wegen der man sich Sorgen machen müsste. Eine spontane Idee im Urlaub: Man denkt nicht lange nach, die anderen machen es auch, und schon bekommt man einen Stempel aufgedrückt für den Rest seines Lebens. So etwas macht man nur, wenn man nicht über die lebenslangen Folgen solcher Dummheiten nachdenkt, weil das Leben noch vor einem liegt. Diese Unbekümmertheit traf mich in der Teeküche wie ein Fausthieb. Der kleine Schmetterling machte mir schmerzhaft klar, wie viele Jahre zwischen uns
lagen. Und ich schämte mich plötzlich, so grau und faltig zu sein. Wobei es weniger mein Alter war, ich bin erst 49, ein Mann in den besten Jahren, sondern Doratas Jugend, die diese Beschämung auslöste. Das bohrende Bedauern, so viele Dinge versäumt oder nicht rechtzeitig erledigt zu haben. Und dieses Gefühl hing mit meinem immer näher rückenden 50. Geburtstag zusammen.
    Dabei versuchte ich, die Sache nicht zu hoch zu hängen. Es war einfach nur ein Datum. Das Leben ging weiter. Es war nicht wie Gratis-Software auf einem

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